Guten Tag, ich möchte Sie gerne überfallen

Der tiefenentspannte Krimi «The Old Man and the Gun» huldigt einem Kino, das es schon lange nicht mehr gibt, und einem Filmgott, der nun in den hoch verdienten Ruhestand tritt.

DCM Film Distribution 


von Sandro Danilo Spadini


«Höflich.» – «Er wirkte wie ein netter Mann.» – «Ein Gentleman.» – «Er schien glücklich.» So wird Forrest Tucker (Robert Redford) beschrieben, ja gepriesen; und nein, Bankräuber ist jetzt nicht das Erste, was man nach diesen warmen Worten mit ihm assoziieren würde. Doch genau das ist dieser mit formvollendeten Manieren operierende und in feinsten Zwirn gewandete ältere Herr – und er ist erst noch ein überaus umtriebiger Vertreter seiner Gilde. Schon 93 Überfälle in fünf Bundesstaaten hat der 74-Jährige verübt, als ihm John Hunt (Casey Affleck) vom Polizeidepartement in Dallas langsam auf die Schliche kommt: stets gewaltfrei notabene und oft nur mit einem dezenten Hinweis auf die Knarre unterm Sakko. Eine wortwörtlich unglaubliche Geschichte ist das, was der junge texanische Regisseur David Lowery («Ain’t Them Bodies Saints») da in «The Old and the Gun» also erzählt. Und das Beste daran? Sie ist sogar – «mehrheitlich» – wahr; Lowery hat sie von einem «New Yorker»-Artikel aus dem Jahr 2003 adaptiert. Stopp! Korrektur! Das Zweitbeste ist das. Das Beste hier ist selbstredend, fraglos, naturgemäss der Hauptdarsteller: der 82-jährige Kinogott Robert Redford, der sich mit diesem anderthalbstündigen Gaunerstück in den hoch verdienten Ruhestand zu verabschieden gedenkt.

Gottvertrauen in Redford

Ein schöner Abschied ists! Und ein würdiger noch dazu. Denn Redford hat hier einen Regisseur an und auf seiner Seite, der bedingungslos seinem überirdischen Charisma vertraut. Lowery weiss, dass er seinen Star einfach machen lassen kann. Dass er ihm so viel Raum und Zeit geben kann, wie er mag. So wie in der Szene im Diner zu Beginn, als er ihn minutenlang mit Sissy Spacek verschmitzt schäkern lässt und dabei immer wieder ganz nah rangeht und die Leinwand füllt mit diesem Gesicht, das schon so lange nicht mehr jung ist, weiss Gott nicht; das aber immer noch einen zünftigen Schalk birgt und sich diese ewige Frische bewahrt hat, all den Furchen zum Trotz. Doch es geht hier noch minimalistischer. In einer Sequenz gegen Filmmitte vertraut Lowery darauf – man muss das Gottvertrauen nennen –, dass wir es spannend finden, Robert Redford dabei zuzusehen, wie er einfach nur zuhört. Und natürlich ist das sehr wohl spannend. Wobei spannend eigentlich gerade nicht das rechte Wort ist im Zusammenhang mit diesem Film. Tiefenentspannt ist das vielmehr. Und gelassen. Wie der 94. Überfall nun ablaufen soll? Ob dann auch alles glattgeht? Und ob Tucker am Ende noch ein 17. Mal aus dem Knast ausbrechen muss? Wen interessiert das schon, wenn man sich geradeso gut draussen auf dem Land mit einem kühlen Bier zu Spacek und Redford auf die Veranda setzen kann, die Abendsonne im Gesicht und wohligen Jazzsound im Ohr. Lowery möchte nicht, dass wir den Atem anhalten; er möchte, dass wir tief einatmen, lang ausatmen und selig lächeln. Oder auch mal schmunzeln: wenn die putzigen Kids von Inspektor Hunt Naseweisheiten von sich geben; wenn bei Tom Waits und Danny Glover, die ebenfalls zur «Bande der Überfälligen» gehören, der Schmäh rennt; oder wenn sich Lowery selbst was Cleveres einfallen lässt. Etwa das: Gegen Ende gibt es eine Szene, die die legendäre Konfrontation zwischen Pacino und De Niro, dem Jäger und dem Gejagten, aus dem Genreklassiker «Heat» heraufbeschwört; und das, obwohl «The Old Man and the Gun» die Konventionen des Heist-Movies just bis zum Äussersten ritzt. Ein netter Scherz ist das und wie der Rest hier so viel erquicklicher als das, was einem Hollywood in diesen ranzigen Senioren-Gaunerklamotten jeweils so aufwärmt.

Was für ein Bild!

Altersmilde und ein bisschen altersweise: So charmiert sich Tucker durch den Film. Die Zeit der grossen Gefühle, sie ist für ihn passé. Stattdessen steht hier ein Mann, der mit sich, seinem Werk und seinem Wirken im Reinen ist. Und diese Genügsamkeit, dieses Sich-selbst-Genügen wirkt gleichsam ansteckend; zumal es sich von der Figur mühelos auf ihren Darsteller übertragen lässt und dann grad noch auf den Film als Ganzes. Und wenn doch mal ein Schuss Melancholie oder eine Prise Romantik reinrieseln, dann ist das eben umso wirkungsvoller. Dies sowieso, wenn der Film, der in den frühen Achtzigern spielt und eine entsprechende ungeschniegelte Unschuld verströmt, der nostalgischen Versuchung verfällt und zum Schluss vollends zur Hommage an seinen Star wird: Robert Redford im Morgenrot hoch zu Ross – was für ein ikonisches Bild noch einmal! Und wie passend. «The Old Man and the Gun» huldigt einem Kino, das es schon lange nicht mehr gibt. Es ist das Kino des grossen Robert Redford.