Im Dschungel der verdrehten Wahrheiten

In dem kernigen und zugleich gescheiten Agententhriller «Body of Lies» präsentieren sich Regisseur Ridley Scott wie auch  seine Stars Leonardo DiCaprio und Russell Crowe nahezu in Bestform.

 

von Sandro Danilo Spadini

Nirgendwo im Kino lässt sich die gerade vorherrschende gesellschaftspolitische Stimmung besser ausmachen als im Genre des Agententhrillers. Derweil dieses etwa in den kriegerisch kalten Achtzigern noch beherrscht war von simplen Gut-Böse-Schemen, werden wir nun Zeugen einer eigentlichen Rückkehr zu den austarierten Genregepflogenheiten der frühren Siebziger. Wie damals ist das Jetzt eben auch stark geprägt von den Wunden eines als ungerecht empfundenen Kriegs und einem Verlust des Vertrauens in die politischen Akteure. Und wie zu der durch die Vietnam-Nachwehen und die Watergate-Affäre eingeläuteten Hochzeit des sogenannten Paranoiathrillers sind entsprechend auch die heutigen Genrearbeiten verstärkt gekennzeichnet durch politischen Pessimismus und glaubhafte Verschwörungsszenarien.  

Der doppelte Gegner

Wenn sich nun sogar der neue Bond-Streifen immerhin im Ansatz als diesbezüglich zeitgeistig präsentiert, kann und wird sich ein Mann vom Format eines Ridley Scott bei der Fertigung einer Prestigeproduktion wie «Body of Lies» schon gar nicht lumpen lassen. Dessen seit Jahrzehnten ohnehin unbestrittene Klasse ist in der formal vielfältig und also komplex die Stimmung einfangenden Verfilmung des Romans von David Ignatius denn auch permanent präsent, wobei der britische Starregisseur als Basis seines nahezu perfekten Agententhrillers für die Jetztzeit auf das mit stringent verknüpften Handlungsfäden bepackte, mit feiner Figurenzeichnung geschmückte und mit manchem Dialog-Kabinettstückchen der kernigen Sorte gespickte Skript von William Monahan («The Departed») abstellen konnte. Dreh- und Angelpunkt des Geschehens ist der mehr Jason Bourne denn James Bond verwandte Einzelkämpfer Roger Ferris (Leonardo DiCaprio), der in arabischen Landen sich nicht einzig der Tücke der Terroristen, sondern vielmehr auch der ewigen Rückenschüsse seiner Vorgesetzten erwehren muss. Personifiziert wird der Gegner in den eigenen Reihen durch Ed Hoffman, mit wohltemperiertem Engagement verkörpert von Scott-Stammspieler Russell Crowe. Dessen Duell mit dem durch emotional verbissenen Gestus abermals gross auftrumpfenden DiCaprio ist das entscheidende Ass in Scotts Ärmel. Teils gewiss auch Monahans gescheitem Drehbuch geschuldet, konstruieren die Stars mit der einem Michael-Mann-Film zur Ehre gereichenden komplizierten Beziehung der beiden Männer formvollendet einen über dem Ganzen stehenden Spannungsbogen. Wem dabei die Sympathien des Publikums gebührt, steht wohl von vornherein fest. Doch ist es gleichwohl Crowes Figur, die letztlich reizvoller erscheint; die Mischung aus Gewöhnlichkeit, Jovialität und Zynismus, die sich in dieser zeigt, gibt der eiskalt pragmatischen und billig profilierungswilligen Bürokratie des Schreckens ein bislang unbekanntes Gesicht.

Aspektreiche Palette

Bemerkenswerte Figuren trifft Roger Ferris auf seinem Weg durch den Dschungel der verdrehten Wahrheiten und brandschwarzen Lügen freilich zur Genüge. Verzwickt wird es etwa mit dem distinguierten jordanischen Sicherheitschef Hani Salaam (bravourös: Mark Strong), von dem man nie so recht weiss, ob man ihm jetzt trauen darf; jenseits des Graubereichs sind demgegenüber die Absichten des Terroristenführers Al-Saleem (Alon Abutbul); und fraglos in günstigem Licht erscheint schliesslich die Krankenschwester Aisha (Golshifteh Farahani), die sich im Laufe des Plots zum veritablen «Love Interest» mausert. Dass es Scott und Monahan vollbracht haben, in einen Film dieser Tonart dezent und störungsfrei auch noch eine Liebesgeschichte reinzuschmuggeln, ist ein weiteres anerkennenswertes Faktum dieses Meisterstücks, das mit furiosen Actionsequenzen, hintersinnigen geopolitischen und geheimdienstlichen Geschichten wie auch persönlichen Dramen eine grosszügige und dabei ausgewogene Aspektpalette bietet, ohne je anbiedernd oder trendhörig zu wirken. «Body of Lies» ist anders als viele verwandte Arbeiten jüngeren Datums denn auch nicht «Bourne Again». Vielmehr ist das ein weiteres eigenständiges Zeugnis des gesellschaftspolitischen Zeitgeists, das hoffentlich sorgenfreieren und dann aber mit diesbezüglich leichtgewichtigerer Kost konfrontierten Generationen von Filminteressierten ein Beleg für die Adaptionsfähigkeit des Actionthriller-Genres sein wird.