Streiten mit Dicky, fighten mit Mickey

Das siebenfach Oscar-nominierte Boxerdrama «The Fighter» ist das Herzensprojekt von Hauptdarsteller Mark Wahlberg. Von Filmbruder Christian Bale wird dieser aber k. o. gespielt.

 

von Sandro Danilo Spadini

Es ist kein Zufall, dass als Erster nicht Micky Ward (Mark Wahlberg), sondern Dicky Eklund (Christian Bale) spricht. Schliesslich ist «The Fighter» über mehrere Runden ebenso sehr sein Film wie Mickys – mindestens so lange, wie aus dieser wahren Geschichte doch noch ein Boxfilm wird. Bis «Irish» Micky Ward mit seinen bereits stolzen 31 Jahren in London zu seinem ersten Weltmeisterschaftskampf im Weltergewicht antritt, ist das nämlich vor allem ein Familiendrama. Ein Drama um eine sehr grosse und sehr irische Familie. Dicky und Micky sind Brüder – eigentlich Halbbrüder, aber dieses Wort fällt hier nicht –, und beider Passion ist das Boxen. Dicky hat seine Karriere schon hinter sich. Für einen einfachen Jungen aus Lowell, Massachusetts, war sie aufregend. 1978 hat er gegen Sugar Ray Leonard gekämpft und diesen sogar kurz zu Boden gebracht. 15 Jahre später – «The Fighter» beginnt im Jahr 1993 – steht Dicky in der Ecke seines jüngeren Bruders als dessen Trainer. Das heisst: Er steht dort, wenn Micky nicht gerade Strassen kehrt und er selbst nicht im Crack-Rausch schwebt oder im Gefängnis sitzt.

Im Schatten des Bruders

Es sind also einfache und raue Verhältnisse, denen der spätere WBU-Titelträger Micky Ward entstammt. Und wie sich diese anfühlen, das vermittelt Regisseur David O. Russell schon in der energiegeladenen Vorspannsequenz in den Strassen von Lowell eindrücklich. Das vermittelt er auch im Pub, wo leicht beschürzt Mickys neue Flamme (Amy Adams) kellnert und auch ihretwegen öfters die Fäuste fliegen. Und das vermittelt er zu Hause bei den Wards oder Eklunds, wo das reinste Chaos in Sachen Verwandtschaftsbeziehungen herrscht und sich eine Unzahl gruselig frisierter Schwestern Dickys und Mickys tummelt. So nahe führt uns Russell hier ran, dass einem der Geruch von Zigarettenrauch und Haarspray nachgerade in die Nase kriecht. Das Sagen in diesem immer lauten und zänkischen – und für uns bisweilen recht lustigen – Irrenhaus hat mit Alice Ward (Melissa Leo) eine burschikose Matriarchin. Sie ist es auch, die als Managerin Mickys Karriere steuert. Und sie ist es somit, die Schuld daran trägt, dass Micky schon nicht mehr daran geglaubt hat, sich überhaupt je aus dem Schatten Dickys rausboxen zu können. Ein grosses Kämpferherz hatte er zwar stets; doch wer es in diesem Business schaffen will, braucht eben auch die richtigen Berater. Wenn Micky also entschlossen verkündet, er sei es leid, «eine verdammte Enttäuschung» zu sein, dann stehen harte Entscheidungen an – und dann ist das abermals mehr Familiendrama denn Boxerfilm.

Ohne grosse Gesten

«The Fighter» ist wie Micky Ward ein Spätzünder. Sein Dasein verdankt er dem Husareneinsatz von Hauptdarsteller und Produzent Mark Wahlberg. Und wie Micky musste das siebenfach Oscar-nominierte Projekt einiges wegstecken, etwa den Absprung von Darren Aronofsky («The Wrestler») im April 2009. Dessen Nachfolger David O. Russell ist freilich ein fast so bemerkenswerter Filmemacher: Mit «Flirting with Disaster» schaffte er 1996 den Durchbruch; mit dem Kriegsfilm «Three Kings» untermauerte er sodann seinen Ruf als innovativer Regisseur; doch mit dem existenzialkomödiantischen Drittling «I Heart Huckabee» erlitt der jähzornige New Yorker einen Rückschlag, dessen Verarbeitung ihn offenbar sechs Jahre vom Filmen abhielt. Nun freilich hat Russell Oberwasser wie nie. Für seine in den Kampfszenen oft zur TV-Kamera switchende Inszenierung hat er auf die grossen Gesten verzichtet, die seit je zum Boxen und sowieso zum Boxfilm gehören – und wurde prompt für den Oscar nominiert. Und Melissa Leo und Christian Bale dirigierte er gar in die Arme des Goldmanns. Gerade dem so einsatzfreudigen Bale ist das zu gönnen; nicht zum ersten Mal hat der walisische Extremschauspieler für eine Rolle bis unters Existenzminimum abgespeckt. Mit seinem Turboauftritt und den jeden Moment aus den Höhlen zu springen drohenden Crack-Augen spielt Bale auch den schon mit einer Fortsetzung liebäugelnden Wahlberg in die Seile und schliesslich k. o. Nicht zuletzt deshalb ist «The Fighter» ebenso sehr Dickys wie Mickys Film.