Fakten sind Fakten, Lügen sind Lügen

«Bodyguard»-Regisseur Mick Jackson hat im Holocaustleugner-Drama «Denial» ein Rendezvous mit der Geschichte. Er gibt sich dabei aber so steif und verstaubt, dass daraus nichts wird. Trotz unerwarteter Aktualität.

 

von Sandro Danilo Spadini

Man ist sich in unserer postfaktischen Zeit ja einiges gewohnt von wahrheitsverdrehenden und brandschwarz lügenden Widerlingen; und entsprechend seltener kommt es mittlerweile vor, dass wir uns so richtig abge-
stossen fühlen und tatsächlich ausrasten wollen. Ein David Irving schafft das freilich noch immer spielend. Dieser britische Holocaustleugner erlangte Mitte der Neunziger eine gewisse himmeltraurige Berühmtheit, als er die US- Historikerin Deborah Lipstadt bezichtigte, «Teil einer konzertierten weltweiten Verschwörung» gegen ihn zu sein, und wegen Verleumdung verklagte. Nun ist Irving längst wieder dorthin entschwunden, wo er hingehört: in die Obskurität. Doch für die Länge eines Kinoabends holen Regisseur Mick Jackson («The Bodyguard») und der Drehbuchautor und Dramatiker David Hare («The Reader», «The Hours») ihn aus der Versenkung: In «Denial» rollen sie den Prozess en détail auf und leisten so nicht nur einen Beitrag zur neueren Holocausthistorie, sondern unverhofft auch zur aktuellen Diskussion um alternative Fakten und Fake-News.

«Tricky, nicht wahr»

Der Plot nimmt seinen Lauf in einem Vorlesungssaal in Atlanta im Jahr 1994. Lipstadt (Rachel Weisz) hat hier eben gerade verkündet, sie debattiere nicht mit Leuten, die den Holocaust leugneten; sie debattiere ja auch nicht mit Leuten, die behaupteten, Elvis lebe noch. «Das ist keine Meinung, das ist ein Fakt. Und ich debattiere keine Fakten», schiebt sie noch nach, ehe Irving (die Karikatur vermeidend: Timothy Spall) ihren Vortrag kapert und mit einem Notenbündel wedelt. Dieses bekomme, wer ihm belege, dass Hitler die Judenvernichtung befohlen habe. Und: Er halte den Holocaust für «fabrizierte und sentimentalisierte Geschichte». So, jetzt weiss man, wer und was David Irving ist. Und jetzt könnte man mal in Wallung geraten; doch Jackson und Hare haben anderes vor, als unsere Empörung zu bedienen. Sie wollen es genau nehmen hier und, ja, die Fakten sprechen lassen. Das ist natürlich nobel, eben gerade in unserer empörungsreichen und faktenarmen Zeit; und man sollte ihnen das jetzt wirklich nicht vorwerfen. Aber wie die beiden britischen Routiniers, 73- und 69-jährig, die Geschichte nun aufziehen, ist leider doch gar trocken, steif und verstaubt. Und das, obwohl dieser Fall nebst seiner Brisanz einige spannende Besonderheiten aufweist. So obliegt es im Königreich bei einem Verleumdungsprozess anders als in den USA nicht etwa dem Kläger, die Schuld des Beklagten zu beweisen, sondern umgekehrt dem Beklagten, seine Unschuld nachzuweisen. «Tricky, nicht wahr», meint dazu der schnoddrige «Solicitor» in Lipstadts Anwaltsteam (Andrew «Moriarty» Scott aus «Sherlock»). Und recht hat er mit Blick auf die bizarre Lage, in der sich Lipstadt ab September 1996 befindet: Sie muss vor dem Hohen Gericht beweisen, dass es den Holocaust tatsächlich gegeben hat. Kein Wunder, wird die Strategie der Verteidigung um Tom Wilkinson als pragmatischem «Barrister» hin und her ausdiskutiert – und von Regie und Skript lang und breit ausformuliert.  

Matt im Gerichtssaal

Es ist gemeinhin als Lob gemeint, wenn man über einen historischen Film sagt, er wirke, als stamme er aus der dargestellten Zeit. Hier ist das aber nicht der Fall. Denn «Denial» erinnert doch über Gebühr an die wohl leidlich kurzweiligen, aber recht kunstlosen Justizdramen der Neunziger; und man sieht dem Film auch an, dass sein Regisseur die letzten 20 Jahren nur mehr fürs TV tätig war. Jacksons Regie ist rein funktional, reiht Szenen matt aneinander, vertraut auf Standards (nächtliche Joggingrunden durch London!) und leistet sich obendrein manchen Ausflug ins Effekthascherisch-Melodramatische, wie man es mehr von den amerikanischen Kollegen kennt: so wenn der ansonsten stil- und stimmungsvoll inszenierte Besuch in Auschwitz damit beschlossen wird, dass Weisz ein Gedicht und ein Lied rezitiert, oder wenn Wilkinson Goethe aufruft – auf Deutsch! Vor allem in der zweiten Hälfte, die reines Gerichtssaaldrama ist, schaltet Jackson auf Autopilot. Mit fast aufreizender Einfallslosigkeit greift er auf die immer gleichen Kniffe zurück: den Schwenk aufs Gerichtsprotokoll oder die bösen Blicke von Lipstadt, die von Weisz mit roter Lockenperücke und angeberischem Queens-Akzent etwas holzschnittartig porträtiert wird und von Autor Hare kaum nennenswerten Background erhält. Sie schrumpft so zur Statistin in ihrer eigenen Geschichte, derweil diese zur (immerhin interessanten) historischen Fussnote schmilzt.