von Sandro Danilo Spadini
Das werde ein grosses Picknick, wiegelt Polizeichef Davis (John Goodman) gegenüber seinem Sergeant Tommy Saunders (Mark Wahlberg) ab: «Schönes Wetter! Hübsche Mädchen!» Und in der Tat ist dieser
15. April 2013 dann ein Prachttag: die perfekte Bühne für den traditionsreichen Boston Marathon, der stets am Patriots’ Day abläuft. Tommy soll als Strafaufgabe dort also zum Rechten sehen, noch
einmal Abbitte leisten für irgendeine Verfehlung, was ihm aber gar nicht schmeckt, fühlt er sich doch zu Höherem berufen, Wichtigeren, Ernsterem. Und dann, um 14.50 Uhr, wird es ernst, todernst:
Im Zielraum geht unweit von Tommy die erste Bombe hoch, 13 Sekunden später, etwas die Strasse hoch, die zweite. Und jetzt steht diese Stadt kopf, wie das jede Stadt, der so was an so einem Tag
widerfährt, tun würde. Aber das ist Boston. Ein Angriff auf Boston, das trifft jeden Einzelnen hier. «Das ist persönlich», wird auch Präsident Obama sagen. In dieser Stadt, die sich als anders,
als besonders wahrnimmt, blüht der Lokalpatriotismus, und er verleiht bisweilen Flügel und auch Fäuste. Dschochar und Tamerlan Zarnajew können sich auf etwas gefasst machen; die beiden
tschetschenischen Attentäter werden – um den alten Bush-Cowboyspruch aufzuwärmen – zwar fliehen, sich aber nicht verstecken können.
Ruhe im Sturm
Die Anschläge auf den Boston Marathon waren der schlimmste Fall von Inlandterrorismus in den USA seit 9/11. Dass hier das Blut in Wallung gerät, wäre verständlich. Zumal bei einem Haudegen wie
Peter Berg, der es als Schauspieler zwar nie ganz gepackt hat, es als Regisseur aber im Actionfach weit gebracht hat mit Heldengeschichten, die bevorzugt auf Tatsachen beruhen (wie zuletzt
«Deepwater Horizon»). Was den Regisseur Berg auszeichnet, ist die Fähigkeit, im richtigen Moment jene Knöpfe zu drücken, die das (amerikanische) Publikum gedrückt haben möchte, darunter auch jene
für Pathos-Fanfaren und Maschinengewehr-Salven. Insofern ist es doch erstaunlich, wie ruhig, nüchtern und frei von Effekthascherei und Sensationslüsternheit Berg den Schlüsselmoment des Films
inszeniert. Da ist Rauch, da ist Blut, da ist Chaos. Aber Berg behält kühlen Kopf – so wie der fiktionale Tommy Saunders, der koordiniert, analysiert und bereits prozessiert, was da gerade
passiert ist. Das nun ist es, was «Patriots Day»
zu zeigen bezweckt: wie die Anstrengungen von Leuten wie Tommy, Polizeichef Davis, Bezirkspolizist Pugliese (J.K. Simmons) und FBI-Agent DesLauriers (Kevin Bacon), die Teufel zur Strecke gebracht
haben, die drei Menschen, darunter ein achtjähriger Knabe, das Leben nahmen und 264 verletzten.
Klassisch, effizient
Während die ganze Stadt sie jagt, sitzen die Zarnajew-Brüder zu Hause und schauen sich ihr Werk im Fernsehen an, ehe sie sich auf eine stümperhafte Flucht begeben. An den beiden scheint nichts
speziell; Berg zeigt sie auch nicht beim Beten oder Hasspredigen, sondern zumindest den Jüngeren, den 19-jährigen Kiffkopf Dschochar, als normalen, assimilierten amerikanischen Jugendlichen. Wie
so einer überhaupt dazu kommt, eine solch Wahnsinnstat zu begehen, eine solche Verachtung auf seine neue Heimat und die Menschen dort zu schütten – das sind Fragen, die der Film nicht stellt. Das
ist sein gutes Recht, auch wenn es einem keine Ruhe lässt, man auf eine Antwort pocht. Die wird vielleicht mal ein anderer, tiefgründigerer Film geben (es wird da gerade noch einer mit Jake
Gyllenhaal gedreht); aber ob sie das dann wirklich zu erklären vermag, ist auch wieder fraglich. «Patriots Day» versucht es also erst gar nicht und kommt damit auch der Forderung nach, man solle
bei derartigen Tragödien doch bitte nicht immer auf die Täter fokussieren. So widmet Berg seine Zeit (130 Minuten!) lieber den Opfern und den klugen, tapferen, beharrlichen Polizeikräften – und
zwar ohne in überbordendes Heldengedudel und ausuferndes Rachegeheul zu verfallen. Denn auch das charakterisiert diesen Regisseur: dass er die Pathos- und Pauken-Knöpfe nur dosiert drückt. Und
dass er bei aller Pietät nicht in Ehrfurcht erstarrt und den Auftrag des Actionfilmers im Blick behält: Spannung zu erzeugen und diese hochzuhalten. Da und dort fällt zwar noch ein dummer Spruch,
und den einen oder anderen Kamerawackler hätte er lassen können: Doch mit «Patriots Day», seiner dritten Kooperation mit dem Vollblut-Bostoner Mark Wahlberg am Stück, hat Berg seinen bislang
schlüssigsten Film gedreht – einen klassischen, effizienten Genrestreifen, der ihn in die erste Actionliga katapultiert.