Er kommt aus dem Nichts und hat alles im Griff

Tom Cruise ist Jack Reacher: Das ist nicht unbedingt die Meldung, die Fans von Lee Childs Kriminalroman-Held entzückt. Der nach ihm benannte Film taugt freilich einiges.

 

von Sandro Danilo Spadini

Es tut sich wieder was in Sachen Kriminalroman-Adaptionen: Tess Gerritsens Rizzoli & Isles ermitteln zurzeit am Fernsehen; Michael Connellys «Lincoln Lawyer» begeisterte kürzlich im Kino; James Pattersons Alex Cross gibts auch wieder in Fleisch und Blut. Und nun stürmt Jack Reacher die Lichtspielhäuser: dieser einsilbige Vierschröter und vormalige Militärpolizist, den sein literarischer Papa Lee Child bereits in 17 Büchern Sprüche klopfen und Schufte verkloppen liess. Nur Freude wird das freilich nicht auslösen bei Reacher-Fans. Denn verkörpert wird der suspekte einzelgängerische 2-Meter-Brocken vom recht kurz geratenen ewigen Saubermann Tom Cruise. Doch Cruise hat den auf Childs neuntem Buch «One Shot» basierenden und simpel «Jack Reacher» betitelten Film auch produziert. Und wer produziert, befiehlt.

Die offene Rechnung

Mit Christopher McQuarrie führt obendrein ein Günstling von Cruise Regie bei diesem 130-Minuten-Monstrum. Und der legt gleich mächtig los und einen Auftakt nach Mass hin, der eingedenk jüngster Ereignisse indes auch mulmige Gefühle auslöst. Nach dem Kameraanflug auf Pittsburgh heftet er sich nämlich an die Fersen eines jungen Mannes, der am helllichten Tag scheinbar wahllos fünf Menschen mit einem Scharfschützengewehr niederschiesst. Schon nach 16 Stunden hat die Polizei mit James Barr (Joseph Sikora) dann ihren Verdächtigen im Verhörraum. Ein Geständnis lässt sich der aber trotz erdrückender Beweise nicht entlocken; stattdessen kritzelt er auf einen Block: «Holt Jack Reacher.» Das freilich wird nicht nötig sein, spricht ebendieser Jack Reacher doch kurz darauf bei Inspektor Emerson (David Oyelowo) und Staatsanwalt Rodin (Richard Jenkins) vor. Und möglich wärs eh nicht gewesen. Denn Reacher hat keine Anschrift, keinen Führerschein, keine Kreditkarte, kein Handy, keine E-Mail-Adresse, nichts mehr, seit er vor zwei Jahren von der Bildfläche verschwand. Ein Gespenst sei er, sagt Emerson, und ein brillanter Ermittler. Ein Unruhestifter auch, der zwar öfters auf das Gesetz pfeift, stets aber auf Gerechtigkeit beharrt. So wie jetzt: Mit Barr hat er noch eine Rechnung offen, nachdem er ihn in Bagdad einst des multiplen Mordes überführt hatte, auf Geheiss «von oben» aber freilassen musste. Umso erstaunlicher also, dass er sich nun just von Barrs Anwältin (Rosamunde Pike) anheuern lässt. Aber so ist Jack Reacher: ein komischer Kerl – und einer, der nicht alles glaubt, was man ihm sagt.   

Kino, wie es sein muss

Als Reacher zu ermitteln beginnt, sind kaum fünf Minuten um und ist trotzdem schon eine halbe Geschichte erzählt – so ökonomisch verfährt McQuarrie hier. Und auch wenn sein kraftstrotzender, kristallklarer, prachtvoller, schlicht sackstarker Film sodann an Tempo einbüssen wird: Den Schwung wird er behalten. So gibt McQuarrie jeweils im richtigen Moment wieder Gas und seinem Publikum ein Zückerchen: sei es ein knackiges Scharmützel, ein keckes Bonmot oder ein kruder Jux. Das Ganze verabreicht er in der korrekten Dosis, sodass die handgemachte (!) Action in Atem hält und in Staunen versetzt und die Komik sodann wieder die Spannung löst. Und vorzüglich versteht er es, einem Angst einzujagen. Angesichts eines solch tiefen Kinoverständnisses fragt man sich einfach, warum dieser Mann, der 1996 den Drehbuch-Oscar für «The Usual Suspects» gewann, erst jetzt wieder filmt: Vor zwölf Jahren hatte er sich vom Schreibpult auf den Regiestuhl gewagt und mit «The Way of the Gun» ein, zugegeben, durchzogenes Debüt abgeliefert; seither jedoch wurde er nur noch zweimal aktenkundig: 2008 mit dem Drehbuch zum Tom-Cruise-Vehikel «Valkyrie» und 2010 mit jenem unseligen zu «The Tourist». Die Schreibe ist nun wieder weit exquisiter; doch das ist natürlich geradeso sehr Lee Child geschuldet: Seine Story, die Verschwörungstheorien zur Kennedy-Ermordung evoziert, fesselt über die volle Distanz. Und seine Sprache ist zum Bersten muskulös, hart und präzise wie Gewehrschüsse, reduziert bis zur Kahlheit und hat dabei eine geradezu musikalische Qualität. Und Tom Cruise? Der hat eine ungeheure Präsenz – und ist trotz fehlender Kilos und Zentimeter mitnichten nur ein halber Jack Reacher.