Kein Kindergeburtstag

Beim kernigen französischen Actionthriller «AKA» bleiben auch die Story und die Figuren nicht auf der Strecke. Deren Potenzial schöpft die Netflix-Produktion indes nicht vollends aus.

Alban Lenoir im Film AKA

Netflix

von Sandro Danilo Spadini

Den Helden seiner Geschichte gleich in der ersten Szene einen kaltblütigen Mord begehen zu lassen – das ist zumindest ein mutiger Ansatz. Dass das freilich durchaus aufgehen kann, hat in den leider schon wieder vergangenen goldenen Zeiten des Fernsehens die monumental meisterhafte Polizeiserie «The Shield» demonstriert. Und so besteht also auch für den stahlharten Special-Ops-Agenten Adam Franco (Alban Lenoir) noch eine gewisse Hoffnung auf Sympathiepunkte, nachdem er in einer Höhle in Libyen erst eine Heerschaar Terroristen umgenietet und alsdann eine von diesen gefangen gehaltene und als Faustpfand gegen die französische Regierung eingesetzte Kriegsreporterin per Kopfschuss exekutiert hat. Franco ist nun mal ein Mann, der tut, was man ihm sagt. Und der Mann, den es jetzt braucht, wie der machiavellistische Geheimdienstmann Kruger (Thibault de Montalembert) dem gerade sehr aufgeregten Minister Marconnet (Philippe Résimont) versichert: Soeben ist eine Bombe hochgegangen in einem Pariser Hotel – ein Attentat, das mutmasslich vom sudanesischen Warlord Moktar Al Tayeb (Kevin Layne) orchestriert worden ist. Um diesen zur Strecke zu bringen, soll Franco sich in die Organisation von Gangsterboss Victor Pastore (Eric Cantona) einschleichen, zu dem Tayeb enge Kontakte pflegt. Und dort passt er, dieser Kleiderschrank von einem Kerl und emotionale Gefrierkasten, auch prima rein mit seiner Vita: nicht nur der beruflichen, durch die er über die Jahre und all die Einsätze in den Brandherden und den feuerheissen Pflastern dieser Welt gleichsam zur Ein-Mann-Armee mutiert ist – sondern auch der privaten, die nach und nach enthüllt wird. Was vorderhand klar und nur schon an seinem starren Blick ablesbar ist: Franco trägt einen Rucksack mit sich rum, und er hat die Narben, um es zu beweisen: Nicht weniger als fünfmal wurde auf ihn geschossen, wie Victor angemessen beeindruckt von seinem muskelbepackten Body abliest. Kein Wunder, dauert es nicht übermässig lange, bis diese nagelneue Kampfmaschine in seiner Sammlung sich seinen Respekt erprügelt und sein Vertrauen gewonnen hat. Und nicht nur das seine: Auch Gattin Natalya (Sveva Alviti), Tochter Hélène (Lucille Guillaume) und vor allem Stiefsohn Jonathan (Noé Chabbat) werden sich früher oder später auf diesen schweigsamen Koloss verlassen.
 
Komplexe, bisweilen komplizierte Handlung
 
Zügig und zielstrebig schreitet der französische Actionthriller «AKA» in den ersten Minuten voran. Trotzdem braucht es einiges an Zeit und Text, bis das Skript von Regisseur Morgan S. Dalibert und Hauptdarsteller Alban Lenoir seine Auslegeordnung gemacht hat. Für einen Genrebeitrag von altem Schrot und Korn, als welcher sich diese Netflix-Produktion während stolzer zweier Stunden unmissverständlich geriert, hat Daliberts Spielfilmpremiere nämlich eine unerwartet komplexe, mitunter sogar komplizierte Handlung mit allerlei geopolitischen Verwerfungen und allerhand geheimdienstlichen Verschwörungen. Und für die emotionale Grundierung haben die beiden Drehbuch-Azubis, die für Netflix bereits bei den beiden «Balle perdue»-Filmen als Kameramann respektive Hauptdarsteller und Co-Autor für Action gesorgt haben, ihren Helden noch mit einem tragischen Background ausstaffiert, der erklärt, wieso er sich dann so resolut für den von Victors Konkurrent Amet (Igor Kovalksy) gekidnappten Jonathan und überhaupt für das Wohl der zu «Kollateralschäden» degradierten Kinder in diesem öfters überdurchschnittlich brutalen Hauen und Stechen einsetzt. Das ist natürlich alles sehr löblich, was sich Dalibert und Lenoir da vorgenommen und niedergeschrieben haben, und keineswegs selbstverständlich in Zeiten der streaminggetriebenen Fast-Food-Unterhaltung. Es entpuppt sich aber auch ein wenig als Handicap, zumal ihr Skript nicht frei ist von Unstimmigkeiten und bisweilen etwas holprig oder sprunghaft auf seine diversen Volten zusteuert, die obendrein nicht immer aus dem Stand nachvollziehbar sind. Am Ende indes sind das nur leichte bis mittelschwere Irritationen. Es ist und bleibt eine ziemlich gute Story, die hier erzählt wird – auch wenn ihr Potenzial nicht vollends ausgeschöpft wird.
 
Handwerklich tadellos, schauspielerisch zwiespältig
 
Ungeachtet dessen liegt der Daseinszweck von «AKA» ohnehin woanders – da wird einem ja auch von aller Anfang an nichts Gegenteiliges vorgegaukelt. Und in dieser Disziplin, auf dem Gebiet seiner augenscheinlichen Kernkompetenz, sind Regisseur Dalibert erst recht keine Vorhaltungen zu machen. Denn wiewohl offensichtlich ist, dass die Netflix-Verantwortlichen sich hierfür nicht wirklich in die Spendierhosen geworfen haben, schaut sein Film absolut ansprechend aus; die (zahlreichen) Actioneinlagen sind handwerklich tadellos und vermögen bis zu einem recht hohen Grad die budgetbedingten Restriktionen zu verbergen; und die Kampfszenen sind fein choreografiert und professionell umgesetzt. Auch die Reminiszenzen an in ganz anderen Sphären schwebende Genreklassiker wie Michael Manns «Heat» wirken weder platt noch peinlich und setzen ganz im Gegenteil da und dort ein wohlplatziertes Ausrufezeichen. Weniger Knalleffekte kommen derweil vom Personal vor der Kamera. Star Alban Lenoir, ein früherer Stuntman und eine Art französischer Jason Statham, liefert eine zwiespältige Vorstellung ab. Das Stoische, das seine Rolle fraglos verlangt, grenzt bei ihm letztlich einmal zu oft ans Lethargische oder schlichtweg Ausdruckslose. Da haben seine Mitstreiter dann doch mehr zu bieten; und weil Lenoirs Präsenz nicht eben raumgreifend ist, hat es auch genug Platz für sie, um sich zu profilieren. Überraschend beherzt genutzt wird dieser vom einstigen Fussballrebellen Eric Cantona, dessen Transfer vom Rasenviereck auf die Leinwand bislang noch kaum allzu frenetische Jubelstürme provoziert hat. Erfreulich auch, was Thibault de Montalembert als undurchsichtiger Strippenzieher, Kevin Layne als (vermeintlicher?) Terrorist und Saïdou Camara in der Rolle des gutherzigen Gangsters Pee Wee beisteuern. Und gerne etwas mehr gesehen hätte man von den wenigen Frauen in diesem schön altmodischen Männerfilm, der am Schluss noch mit einer politischen Botschaft auflauert: Nathalie Odzierejko ist ein willkommener Farbtupfer als Überwachungsspezialistin Mona, derweil Lucille Guillaume und die Römerin Sveva Alviti einem als bangende Schwester und Mutter immer wieder in Erinnerung rufen, was hier – auch noch! – auf dem Spiel steht.