Was besser nicht gefunden werden sollte

Regisseur Paul Haggis schickt im packenden Thriller «In the Valley of Elah» Tommy Lee Jones auf die Suche nach seinem Sohn – und lässt ihn ein vom Krieg traumatisiertes Land finden.

 

von Sandro Danilo Spadini

Ein Indikator dafür, wie satt die Amerikaner den Irak-Krieg haben, ist auch das schwache Abschneiden der sich um dieses so frustrierende Thema kreisenden Filme in den US-Lichtspielhäusern. Selbst bei den politisch nicht uninteressierten Oscars wollten sie dieses Jahr kaum etwas wissen davon, was sich etwa in der überraschenden Nichtprämierung der brillanten Dok «No End in Sight» oder der Nichtnominierung einiger entsprechender Projekte aus dem Fiction-Bereich äusserte. Dabei hätte der eine oder andere dieser Streifen durchaus mehr Beachtung verdient gehabt. So etwa Robert Redfords «Lions for Lambs», so etwa auch der Thriller «In the Valley of Elah» des Oscar-gekrönten Autors und verblüffend versierten Neo-Regisseurs Paul Haggis. In seinem erst zweiten Kinospielfilm als inszenatorisch Verantwortlicher schneidet der Kanadier wiederum mit wachem Auge für die kollektive Befindlichkeit ein grosses zeitgenössisches amerikanisches Thema an. Waren es in «Crash» noch die Rassenkonflikte, die er unter die Lupe nahm und vor der Linse sezierte, widmet er sich nun eben hauptsächlich den gesellschaftlichen und erst nachrangig den politischen Implikationen des Irak-Kriegs.

In der Finsternis

Freilich spielt sich der vage als «von wahren Ereignissen inspiriert» deklarierte Plot nicht ganz im Jetzt, sondern in der jüngsten Vergangenheit ab. Es ist ein Novembermorgen im Jahr 2004, als der Vietnam-Veteran und vormalige Militärpolizist Hank (Oscar-nominiert: Tommy Lee Jones) darüber informiert wird, sein aus Irak heimgekehrter Sohn Mike sei spurlos von einem Militärstützpunkt in New Mexico verschwunden. Noch fest seiner beruflichen Vergangenheit verhaftet, macht sich der betonköpfige Militarist und gottesfürchtige Vollblut-Patriot sogleich auf den Weg, um höchstselbst Licht ins Dunkel zu bringen. Und dieses Dunkel stellt sich schon bald als mondlose Finsternis aus Vertuschung und Korruption heraus, in welcher die Orientierung kaum mehr zu finden ist und Werte und Welten zusammenbrechen. Was seine gemeinsam mit einer abtrünnigen zivilen Polizistin (hervorragend: Charlize Theron) forcierten Ermittlungen an den Tag bringen werden, fügt nämlich Hanks Bild von seinem Sohn (und seinem Land) mehr als nur einige Kratzer zu.

Kompetent auf allen Ebenen

Allegorisch gesehen, könnte Mike die USA verkörpern, wie sie Hank sieht – zunächst idealistisch überhöht, alsdann schmerzhaft differenziert –, und Hank die USA, wie sie Haggis sieht: ignorant, besserwisserisch, aber im Kern gut oder wenigstens nicht schlecht. Verpackt ist diese in trostloser Umgebung angesiedelte Status-quo-Untersuchung in eine präzise Charakter- und Milieustudie mit einem vielschichtig gezeichneten und seriös gespielten Protagonisten, die zugleich eine auf unspektakuläre Weise packend und ungemein atmosphärisch inszenierte Kriminalgeschichte ist. Der Krieg ist dabei allgegenwärtig. USA-Flaggen flattern allenthalben. Der Ton ist rau. Die Stimmung melancholisch. Passend dazu hat Haggis eine sehr langsame und gleichwohl ausgesprochen flüssige Erzählweise gewählt – eine in Hollywood fast verloren geglaubte Form des Erzählens, die derzeit – man denke an «There Will Be Blood» oder «No Country for Old Men» – wieder Hochkonjunktur zu geniessen scheint. Gepfefferte Dialoge heizen derweil die Stimmung an und zeugen von Haggis’ Kunstfertigkeit und Kernkompetenz, einige wenige Schockeffekte wie die an Abu Ghraib gemahnenden gespenstischen Handy-Videoaufnahmen von Mike, die Hank portionenweise zugestellt bekommt, brechen die ästhetische Oberfläche auf und erhalten die inszenatorische wie plottechnische Spannung aufrecht, timingsicher eingestreute Pointen verleiten trotz der betont pessimistischen Attitüde des Films mitunter zum Schmunzeln und bisweilen zum Staunen. Als elementar erweist sich nicht zuletzt, dass Haggis anders als mancher Kollege nicht einer kindlichen Faszination für die Army und ihre Gepflogenheiten erliegt. Entstanden ist so ein sehr «erwachsener» Film, der es wagt, die an sich spannende Kriminalhandlung zugunsten des Erkenntnisgewinns seines Helden mehr und mehr in den Hintergrund treten zu lassen. Und ein überaus kompetenter und konzentrierter Film, der keine Szene zu viel enthält. Ausser vielleicht der allerletzten, in welcher Haggis doch noch die ganz dicke Keule herausholt und einen mit seinem Statement beinahe erschlägt. Doch das ist dann nicht mehr als ein Schönheitsfehler.