Zweifelhafter Glaube und glaubhafte Zweifel

Mit dem intellektuell anregenden Priesterdrama «Doubt» bringt John Patrick Shanley sein eigenes Theaterstück auf die Leinwand – und hievt gleich vier seiner Darsteller auf die Oscar-Nominierungsliste.

 

von Sandro Danilo Spadini

Es gibt da draussen eine Menge Kinoschauspieler, die einem fast verräterischen Credo folgen: Auf der grossen Leinwand wird die Miete eingespielt, die künstlerische Erfüllung findet man derweil auf den die Welt bedeutenden Brettern. Wer nicht gerade in Broadway-Nachbarschaft haust oder ein eingefleischter «Theater-Hopper» ist, erfährt freilich selten bis nie, wie sich diese Art der beruflichen Selbstverwirklichung auf die Leistungen der so denkenden Hollywood-Stars auswirkt. Immerhin eine leise Ahnung davon vermitteln einem aber Filme wie das schon mit Tony Award und Pulitzerpreis prämierte Priesterdrama «Doubt» von John Patrick Shanley. Kino gewordenes Theater ist das, und das von Meryl Streep und Philip Seymour Hoffman angeführte Mini-Ensemble spielt in der Tat um sein Leben – und um sein Leben gern, wie es scheint. Niedergeschlagen hat sich das in satten vier verdienten Oscar-Nominierungen für die Darsteller; neben den Academy-Günstligen Streep und Hoffman dürfen am 22. Februar auch Amy Adams und Viola Davis auf den Goldmann schielen.

Ein schlimmer Verdacht

Dass zudem Shanleys Skript vorgeschlagen wurde, ist mindestens so nachvollziehbar. In seinem späten Regiedebüt präsentiert der 58-jährige Theatermann und bereits Oscar-dekorierte Drehbuchveteran («Moonstruck», 1988) ein intellektuell anregendes und emotional packendes Lehrstück über zweifelhaften Glauben und glaubhafte Zweifel. Ort des Geschehens ist eine scheinbar hermetisch abgeriegelte katholische Schule in der Bronx. Es ist das Jahr 1964, und ethnische Durchmischung ist in den Quartieren New Yorks noch keine Selbstverständlichkeit. Dem schüchternen Schüler Donald (Joseph Foster II) kommt an der traditionell irischen St. Nicholas School aufgrund seiner dunklen Hautfarbe folglich ein bürdevoller Aussenseiterstatus zu. Den einzigen Freund und Vertrauten findet Donald in dem unorthodox lebensbejahenden Pater Flynn (Hoffman), der ihn als Ministrant unter seine Fittiche nimmt. Es ist eine spezielle Beziehung, mehr als eine zwischen Lehrer und Schüler, eher zwischen Mentor und Protegé, (Ersatz-)Vater und (Wunsch-)Sohn vielleicht sogar. Doch ist diese Beziehung auch angemessen? Die mit eiserner Regentschaft über St. Nicholas herrschende Schwester Aloysius (Streep) hat da ihre Zweifel. Und sie ist damit nicht allein. Auch die liebenswerte Schwester James (Adams), der im Gegensatz zur verbohrten Aloysius der progressive Pater nicht schon von vornherein suspekt ist, kann irgendwann ihre Beunruhigung nicht mehr verhehlen. Mit gleichsam detektivischem Eifer suchen und finden die beiden Frauen bald Indizien für sexuell missbräuchliche Vorkommnisse, und recht unverblümt stellen sie Flynn endlich zur Rede. Der folgende Schlagabtausch nährt sodann zwar den Verdacht, bringt aber keine absolute Klarheit. Es bleiben Zweifel. 

Das Publikum herausfordern

Mit priesterlicher Pädophilie nimmt sich «Doubt» eines traurigen Themas an, das im US-Kino bisher vor allem in kleinem Rahmen wie in der erschütternden Dok «Deliver Us from Evil» behandelt wurde. Wie Shanley, der selbst eine katholische Schule in New York besucht hat, die heikle Sache angeht, zeugt von grossem Fingerspitzengefühl und einem überlegenen Geist. Sein dialogintensiver und mit spartanischem Set auskommender Film verschreibt sich einem theaterhaften Minimalismus, mit welchem er das Publikum zum fokussierten Nachdenken und Abwägen herausfordern will – was ihm ab den bisweilen noch heiteren ersten Minuten bis zum hochintelligent unkonformen Schluss auch gelingt. Dass Shanley die ohnehin schon vielschichtige Geschichte mittels Einbettung in eine Zeit des allmählich einsetzenden Wandels nochmals um eine Ebene erweitert, eröffnet zusätzlichen Interpretationsspielraum. Dem bei dieser Thematik vorbelasteten zeitgenössischen Publikum macht er es damit natürlich nicht einfacher, und böte sich mit der zwischen Tradition und Fortschritt, Abscheu und Bewunderung, Glaube und Zweifel hin und her gerissenen Schwester James nicht eine moralische Orientierungshilfe und Identifikationsfigur an, käme man sich am Ende noch verlorener vor.