Wenn die Wahrheit nichts wert ist

Regisseur Doug Liman inspiziert in «Fair Game» das Lügengebilde, das den Irak-Krieg ermöglichte. Er erweist sich dafür als falscher Mann, seine Stars retten aber den Film.

 

von Sandro Danilo Spadini

Es handelt sich – potenziell – um die vielleicht grösste weltpolitische Ungeheuerlichkeit der letzten Jahrzehnte. Und allmählich, endlich, mit rund sieben Jahren Anlauf, wird das Geschehen auch filmisch aufgearbeitet. Regisseur Doug Liman ist nach Paul Greengrass («Green Zone») der Zweite seines Fachs, der sich des Themas annimmt, und wie für den Kollegen gibt es auch für ihn hier kein «potenziell». Für ihn und die anderen Macher des Thrillers «Fair Game» ist es erwiesen, dass die Regierung Bush schlicht brandschwarz gelogen hat, als es darum ging, dem amerikanischen Volk die Notwendigkeit der Irak-Invasion zu verkaufen.

Die grosse Lüge

Gestützt hat sich Actionspezialist Liman («The Bourne Identity») auf zwei Bücher: «The Politics of Truth» von Joseph Wilson und «Fair Game» von Valerie Plame. Die Eheleute Wilson/Plame sind hier freilich nicht nur die Vorlagengeber, sondern dargestellt von Sean Penn und Naomi Watts auch die Protagonisten. Der einstige Botschafter Wilson war es, der im Februar 2002 im Auftrag Washingtons nach Niger gesandt wurde, um einen vermeintlichen Uran-Kauf Saddam Husseins zu verifizieren. Und Plame war es, die anderthalb Jahre später durch eine gezielte Indiskretion aus dem Büro von Vizepräsident Cheney öffentlich als verdeckte CIA-Ermittlerin entlarvt wurde. Was dazwischenlag, ist die grosse Ungeheuerlichkeit, ist die grosse Lüge, ist Gegenstand der ersten Filmhälfte: Wilson findet in Niger keinerlei Beweise dafür, dass Saddam Uran zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen gekauft hat. Präsident Bush jedoch verkündet in seiner «Rede zur Lage der Nation» just Gegenteiliges und hat so sein verzweifelt gesuchtes Hauptargument für den Irak-Krieg. Wilson schreibt daraufhin einen Artikel in der «New York Times» mit dem Titel «Was ich in Afrika nicht gefunden habe». Das in Erklärungsnot geratene Weisse Haus versucht nun Wilson zu diskreditieren. Der Irak-Krieg ist derweil bereits im Gang, und Valerie Plame, die kurz vor der Denunzierung und damit dem Karriereende steht, hat nichts und noch mal nichts getan, was die US-Regierung zum kommenden Racheakt zwänge. Vielmehr lernen wir Plame in dieser ersten Hälfte, die grossenteils ihr gehört, als loyale CIA-Agentin kennen; begleiten sie auf mehr illustrativen denn handlungsdienlichen Einsätzen in Kuala Lumpur und Kairo; sehen sie als unideologische Analystin im CIA-Quartier in Langley beim Filtern von Geheimdienstdaten zu Saddams angeblichem Massenvernichtungswaffen-Programm. Und schliesslich sind wir öfters bei ihr daheim und dabei, wenn sie ihre noch geheime Identität bewahrend still zuhört, wie ihr Mann heissblütig mit gemeinsamen Freunden über Politik streitet.

Von der Staats- zur Ehekrise

Das alles gibt es, noch bevor der Pausenvorhang fällt. Kein Wunder, ist der Film hier noch nicht im Fluss. Vielmehr ist er eine lose und komplizierte Abfolge von Einzelszenen und leidet zudem an der Unentschlossenheit seines Regisseurs, dessen Action-Affinität wiederholt unvorteilhaft zutage tritt. Liman wird sich in Teil zwei indes steigern – und mit ihm der Film. Jetzt, da die enttarnte Plame und der als Verräter verfluchte Wilson «fair game», also Freiwild sind, dreht Liman auch an der Empörungsschraube. Hatte er zuvor noch nüchtern Bericht erstattet, heizt er nun die Stimmung an. Dass er dabei auch plumpe Mittel anwendet, ist zwar bedauerlich; doch lässt sich ihm in der Schilderung des eiskalten Paranoiaklimas und des Kampfs gegen die Machtlosigkeit nicht weiter Emotionslosigkeit vorwerfen. Gefühle rücken auch ins Zentrum, wenn sich das Geschehen zur aufkommenden Ehekrise im Hause Wilson/Plame verlagert. Ebendies könnte zur störenden Ablenkung gereichen – wären hier nicht mit dem wiedervereinten «21 Grams»-Gespann Penn und Watts zwei derart harmonierende Ausnahmeerscheinungen am Werk. Auch verschleiern die Schwenker ins Private nicht das Anliegen des Films: das von Archivaufnahmen des Gruselkabinetts um Bush, Cheney, Rice und Rove unterstützte Entlarven einer Regierung, die die perfiden und tyrannischen Methoden eines Terrorregimes anwandte. Schade bloss, hat das damals trotz weitgehend eindeutiger Faktenlage kaum wen gekümmert. Wenn «Fair Game» das Politische nicht permanent im Fokus hat, dann wohl auch deshalb, weil das Ende allzu bekannt ist: Das dergestalt betrogene amerikanische Volk hat wenig später George W. Bush wiedergewählt.