Es war einmal ein Champion

Er besiegte den Krebs, gewann siebenmal die Tour de France, inspirierte Millionen und belog die Welt: Stephen Frears zeichnet in «The Program» packend den Fall Lance Armstrong nach, den traurigsten Skandal der Sportgeschichte.

 

von Sandro Danilo Spadini

Mutterseelenallein ist er, kein Konkurrent weit und breit, als er im Prolog von «The Program» den Berg hochfährt. Es ist die Einsamkeit des Dominators. Des grössten Radstars aller Zeiten. Des Retters seines skandalgeplagten Sports. Des siebenfachen Tour-de-France-Königs. Des Krebsbesiegers Lance Armstrong. Wie er dahin gekommen ist, ins ewig Gelbe Trikot, wissen zwar längst nicht nur Radsport-Fans; wie dieses beispiellose Märchen anfing, hat Abermillionen berührt. Regieroutinier Stephen Frears («The Queen») zeigt es uns trotzdem noch mal. Denn er hat da seine eigene Sicht. Oder besser: die des irischen Sportjournalisten David Walsh (Chris O’Dowd), auf dessen Buch «Seven Deadly Sins: My Pursuit of Lance Armstrong» der Film basiert. Walsh war schon bei Armstrongs erster Tour ein Fan, wie Frears mit der Rückblende ins Jahr 1993 zeigt. Er schätzt den von einem berückend kühlen Ben Foster gespielten Novizen als sehr selbstbewusst und künftigen Classique-Sieger ein, jedoch nicht als Rundfahrer. Und er wird darin bestätigt, als Armstrong noch im selben Jahr Weltmeister wird und 1996 an der Flèche Wallone triumphiert.

Man hätte es wissen müssen

Walsh ist aber auch einer der Ersten, die am späteren Überfahrer Armstrong zweifeln: Es ist das Jahr 1999, drei Jahre nachdem bei Armstrong Hodenkrebs im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert worden ist. Der Texaner legt bei seiner ersten Tour nach der Genesung im Aufstieg nach Sestriere eine regelrechte Machtdemonstration hin, und Walsh stutzt, dass sich hier ein Spezialist für Eintagesrennen auf einmal als bester Kletterer auf Erden präsentiert. Doch niemand mag ihm zuhören. Die Tour hatte im Jahr davor ihre «Epokalypse» erlebt, der Radsport lag im Dopingsumpf. Da wollten alle nur an diese Auferstehung durch einen ehedem Todgeweihten glauben – auch wenn man nur schon wegen des gegenüber der Skandaltour nochmals gesteigerten Durchschnittstempos hätte wissen müssen, dass das eben doch nur ein Märchen war: zu schön, um wahr zu sein. Frears und Walsh sind sich sogar sicher, dass Armstrong bereits vor seiner Krankheit dopte. Das jedoch wie auch den Kampf gegen den Krebs handelt der Film eher zügig ab. Denn es ist das bloss die Ouvertüre in einem Drama, das sich zum grössten und himmeltraurigsten Skandal der Sportgeschichte weiten wird. Und diesen will Frears minutiös nacherzählen.

Ein vernichtendes Urteil

Viele haben beklagt, es bleibe dabei das Psychologische auf der Strecke. Und in der Tat ist das weniger eine Charakterstudie als ein faktenbasierter, mit Archivmaterial gespickter Report über den dopingverseuchten Radsport der «Tour de Lance»-Jahre. Doch der Film heisst ja auch nicht «Armstrong», sondern «The Program»: nach dem Programm des «Pope of Dope» und Armstrong-Vertrauten Dr. Michele Ferrari (Guillaume Canet). «Wir haben gelernt zu fliegen», sagt dieser entfesselte Wissenschaftler mit Blick auf seine «Epo-Erleuchtung». Und niemand ist je höher geflogen als Armstrongs «blauer Zug», sein hochgezüchtetes Team US Postal. Mit ihm gelangt der von Ferrari quasi umprogrammierte Texaner dann an sein Ziel, dem er alles, sogar die wiedergewonnene Gesundheit unterjocht: den Tour-Sieg. Den Preis dafür zahlen freilich auch andere, wie Frears und Walsh in geradliniger Erzählung demonstrieren. Sie lassen dabei kein gutes Haar am Machtmenschen Armstrong. Sie schildern, wie er unliebsame Fahrer im Feld einschüchtert. Wie er seine Teamgefährten ausbeutet. Wie er den frommen und labilen Edeldomestiken Floyd Landis (stark: Jesse Plemons) zum Dopen verführt. Und als Armstrong durch sein «doofes und eitles» (Teamchef Johan Bruyneel) Comeback vier Jahre nach dem siebten Tour-Sieg unter die Lawine von Ferraris Verhaftung und Landis’ Dopinggeständnis gerät, zeigen sie in Thrillermanier auch das: wie er den Radverband korrumpiert hat. Wie er Sponsoren betrogen hat. Wie er unter Eid gelogen hat. Wie er seine Ankläger verleumdet hat. Wie er seinen Sport verraten hat. Aber wiewohl Frears’ Film Armstrong über sein Inspirationsgesäusel blossstellt und als grössenwahnsinnigen Soziopathen, als egomanisches Monster demaskiert, hat er nicht die brutale Wirkung von Alex Gibneys geradezu gespenstischer Doku «The Armstrong Lie». Unversöhnlich ist derweil auch er. Mit Armstrongs Engagement für seine Krebsstiftung hält er sich denn auch nicht lange auf. Und ebenso wenig mit seiner halbherzigen Beichte auf Oprahs Couch. Nur das: «Haben Sie je verbotene Substanzen genommen?» «Ja.» «War eine dieser Substanzen Epo?» «Ja.» «Haben Sie Blutdoping benutzt?» «Ja.» «Haben Sie Testosteron, Kortison und Wachstumshormone genommen?» «Ja.» «Haben Sie bei allen sieben Tour-Siegen gedopt?» «Ja.» Am Ende ist Armstrong wieder allein, als er zu einem Aufstieg ansetzt. Es ist die Einsamkeit des gefallenen Helden. Eines gemeinen Betrügers.