von Sandro Danilo Spadini
Die Leiche eines Zufallszivilisten mit einer falschen Offiziersidentität ausstatten, sie mit fingierten Geheimdokumenten bestücken und sodann vor der Küste Spaniens aussetzen, um die
Nazis auf eine falsche Fährte zu locken: Wer kommt denn auf so eine bizarre Idee? Nun, wahrscheinlich Ian Fleming, der Erfinder von James Bond höchstselbst. Dies indes nicht etwa im Rahmen eines
launig dahinfantasierten Spionageromans, sondern in Diensten der Armee Ihrer Majestät im Jahre 1943, als die britischen Streitkräfte die Invasion Siziliens vorbereiten. Auf
«Operation Mincemeat», Operation Hackfleisch, wurde
dieses irre Täuschungsmanöver getauft, und ebenso heisst auch der Film von Regisseur John Madden («Shakespeare in Love»), der wiederum auf dem gleichnamigen Sachbuch-Bestseller von Ben Macintyre
beruht. Es sei dies eine Geschichte, die typisch für den Krieg sei: eine, in der es um das gehe, was man sehe, und um das, was verborgen sei. Eine Geschichte um Betrug, Verführung und Arglist. So
verheisst das der als Erzähler aus dem Off fungierende Fleming (Johnny Flynn) zu Beginn dieser auf allzu spendable zwei Stunden gestreckten lockeren Geschichtslektion, in deren pompösem Prolog
ernste Menschen ihr Haupt verzagt zum Gebet senken und inmitten von Rauchschwaden und Sturmböen «Dear God!» ausrufen. Die Dinge werden sich freilich rasch beruhigen und in britisches
Understatement münden, wenn die Handlung sechs Monate zurückspult und an einem Punkt der Geschichte landet, an dem die Welt zwar auch nicht mehr in Ordnung war, die Hoffnung aber noch nicht in
den letzten Zügen lag. Gemach, gemach!, heisst es nun, wenn uns in gediegenem Ambiente und adrett-akkuraten Bildern mit Goldstich die Protagonisten vorgestellt werden: die Geheimdienstoffiziere
Ewan Montagu (Colin Firth) und Charles Cholmondeley (Matthew Macfadyen), die Sekretärinnen Hester Leggett (Penelope Wilton) und Jean Leslie (Kelly Macdonald), Admiral John Godfrey (Jason Isaacs)
sowie der an einer Überdosis gestorbene Landstreicher Glyndwr Michael, dem fortan mit einem gerüttelt Mass Euphorie die detailreich ausgeschmückte Identität eines gewissen Major William Martin
angedichtet wird. Und wie es sich für einen Film dieser Art gehört, will auch auf Winston Churchill (Simon Russell Beale) nicht verzichtet werden.
Weder geschüttelt noch gerührt
Ein Film dieser Art also, ein John-Madden-Film, um genau zu sein: Das ist ein Film, der niemandem wehtun möchte, der einen nicht vom Hocker zu hauen oder durchzuschütteln und anzurühren gedenkt,
sondern bloss moderat unterhalten, ein bisschen was vermitteln und gelegentlich zum Schmunzeln anregen will. Ein John-Madden-Film geht eigentlich immer. Und niemand ist besser geeignet, darin die
Hauptrolle zu übernehmen, als Colin Firth. Denn auch Colin Firth geht immer, so wie im Übrigen auch die ähnlich mehrheitsfähige und beständige Kelly Macdonald nie verkehrt ist. Doch nicht nur
personell, sondern auch thematisch ist das eine bombensichere Nummer: Eine Zweitweltkriegsgeschichte daheim an der britischen Front – dass sich das massentauglich unters Volk bringen lässt,
haben schon zig Filme gezeigt, nicht zuletzt «The Imitation Game» oder «The Darkest Hour». Und mit einem ausgefallenen und erst noch wahren Plot wie diesem kann ohnehin kaum allzu viel
schiefgehen. Dass das Ganze durch die Decke geht, ist indes ebenso unwahrscheinlich. Denn das Können der an vorderster Front Agierenden garantiert zwar eine gewisse Klasse; deren spezifische
Kompetenzen setzen dieser aber eben auch Grenzen und stecken den Rahmen, in dem sich das bewegt, gleichsam millimetergenau ab. Entsprechend fühlt sich alles jederzeit dermassen vertraut an, dass
sich schnell ein Occasion-Feeling einstellt und man das Gefühl bekommt, man habe einfach auf jene Locations und Requisiten zurückgegriffen, die gerade da und verfügbar waren. Sprich: Ein
Zweitweltkriegsfilm von John Madden mit Colin Firth und Kelly Macdonald hat wohl die grundsolide Qualität von Grannys Sonntagsbraten, aber auch dessen Überraschungspotenzial. Klassisch ist das
Wort, das sich einem hier aufdrängt. Allerdings mit der Konnotation des ein wenig Uninspirierten und Innovationsscheuen. Und so ist das letztlich tatsächlich die befürchtet lauwarme Angelegenheit
– so lauwarm, wie die Briten ihr Bier mögen quasi. Und beim Zeus, wie britisch das alles doch ist. Britisch durch und durch. Britischer gehts nicht: steif und stilvoll, bedacht und beherrscht,
höflich und humorig.
Und er lebt doch!
Argumente zu finden, dass man sich «Operation Mincemeat» anschauen sollte, fällt insofern nicht leicht; dies umso weniger, als die mit gar viel Gerede und Geschwafel garnierte Handlung durch eine
gekünstelte Dreiecksgeschichte um Montagu, Leslie und Cholmondeley immer wieder ausgebremst und verschleppt wird und es dabei obendrein nicht gerade knistert zwischen Firth und Macdonald.
Argumente, die zwingend dagegensprechen, sich diese bereits 1956 von Ronald Neame unter dem Titel «The Man Who Never Was» verfilmte Geschichte zu Gemüte zu führen, lassen sich indes auch nicht
wirklich vorbringen. Zumal sich zwischen Firth und Macfadyen, den beiden Mr.-Darcy-Darstellern der Neuzeit, im Zuge der sich allmählich türmenden gegenseitigen Abneigung eine ganz passable
Dynamik ergibt und man zwischendurch auch mal den Ernst der Lage vergessen darf, wenn sich unsere Helden am Aushecken ihrer Finten erfreuen und sich gebärden, als verlustierten sie sich in einem
Caper-Movie. So betulich und behäbig das bisweilen scheint: Dröge und staubig ist dieses herzhafte Stück Kino nach alter Väter Sitte am Ende dann doch keineswegs. Es ist da, umrahmt von
gelegentlichen visuellen Leckerbissen und ausgeschmückt mit rhetorischen Schmankerln, durchaus Leben drin. Wohldosiert, selbstredend. Und wohltemperiert.