Papa hat einen Plan

Will Smith wird für seine Darstellung des ultimativen Tennisvaters Richard Williams wohl den Oscar bekommen. Doch auch das vermag die sehr konventionelle und unkritische Filmbiografie «King Richard» nicht zu einem Winner zu machen.

Will Smith im Film King Richard

Paterson Entertainment

von Sandro Danilo Spadini

Ein bisschen scheint es so, als habe das Kino den Tennissport für sich entdeckt. Mit der Komödie «The Battle of Sexes» über den Showkampf zwischen Billie Jean King und Bobby Riggs, dem im Vergleich dazu weitaus gelungeneren Drama «Borg vs. McEnroe» über das Wimbledon-Finale 1980 sowie unlängst der französischen Produktion «Cinquième Set» über das letzte Hurra eines fiktiven Altstars an den French Open wurde auf der Leinwand zuletzt jedenfalls auffallend oft dem Filzball hinterhergejagt. Und nun also: «King Richard» – die fast unglaubliche und bisweilen ein wenig unglaubwürdige Geschichte von Richard Williams, der seine Töchter Venus und Serena anhand eines schon vor deren Geburt ausgeheckten und hernach minutiös umgesetzten Plans zu Ikonen des Tennissports heranzüchtete. Will Smith spielt hier die Hauptrolle, und es ist keine wilde Spekulation, dass er dafür wohl den lang ersehnten Oscar bekommen wird. Gestohlen wird er ihn nicht haben, denn Smith macht das zweifellos bärenstark: Wie er diesen Ku-Klux-Klan-gestählten Mann aus Louisiana mit den grossen Überzeugungen und dem geradeso grossen Mundwerk, der sich nie je respektiert gefühlt hat, mantramässig die kommenden Heldentaten seiner Töchter verkünden lässt; wie er diesen kauzigen Sturkopf, der unkonventionelle Wege und dabei so ziemlich jedem auf die Nerven geht, in der gebückten Haltung einer mit seinen Dämonen ringenden, aber nur scheinbar gebrochenen Existenz den «weissen Sport» schelmisch aufmischen lässt – das ist schon in jedem Moment leinwandfüllend. Und trotzdem: Einen Winner aus «Kind Richard» zu machen vermag auch dieser überaus präsente, wenn auch etwas eintönige Vortrag nicht.

Die autorisierte Version

Smith sagt, Williams sei ein sehr schwieriger und sehr komplizierter Charakter. In der von Reinaldo Marcus Green («Joe Bell») inszenierten und von Debütant Zach Baylin verfassten Helden-, ja Heiligengeschichte uramerikanischen Zuschnitts ist er freilich so komplex wie eine Disney-Figur: ein fanatischer, aber nicht verbissener bauernschlauer Underdog, der sich vielleicht auch mal verrennt, der aber unbeirrt und unbeeindruckt von all den «Gelehrten» seinen Masterplan verfolgt. Und vor allem: ein Ausbund an Demut und Rechtschaffenheit, der Gott ehrt, Amerika liebt, hart arbeitet und öfter mal zu einer «inspirierenden» (Motivation-)Predigt über das Wesen der Tugendhaftigkeit ansetzt und das Hohelied auf den Glauben an die eigenen Stärken jodelt. Wie man weiss, gäbe es freilich auch das eine oder andere kritische Wort über diesen Richard Williams zu verlieren, dem nicht ausschliesslich aus niederen (rassistischen!) Motiven zeit seines polternden öffentlichen Wirkens skeptisch bis ablehnend begegnet wurde. Doch dies ist die autorisierte und also polierte Geschichte dieses ultimativen Tennisvaters – mitproduziert von seinen Töchtern Venus und Serena. Da überrascht es natürlich nicht so sehr, dass sich auch die Superstars in spe in zuckersüssem Rosarot präsentieren, als unentwegt mit ihren drei anderen Schwestern rumalbernde und giggelnde Vorzeigemädchen, immer bester Laune und stets mit klarem Kopf, nie genervt oder erschöpft, nie von Zweifeln gepeinigt oder von Konkurrenzdenken angeknabbert. Und ebenso wenig erschüttert es, dass sich der Film anderthalb Stunden der Mythosspinnerei gönnt, bis er kurz an Williams’ Heiligenschein kratzt, ein Streiflicht auf seine zwielichtige und gerade im Privaten wenig schmeichelhafte Vergangenheit wirft und seine selbstherrliche, besserwisserische Grossspurigkeit adressiert. Aber selbst da wird man das Gefühl nicht los, dass das bloss ein «Plot Device» ist: eine schnell abgehakte Konzession an die Erzählmuster klassischer Heldensagas, wo es noch einer kleinen Krise bedarf vor dem finalen Akt mit dem totalen Triumph. Zu diesem kommt es streng genommen am Ende dann zwar nicht, aber irgendwie halt schon, wenn Venus Williams als 14-Jährige, die auf Geheiss des Papas drei Jahre keine Juniorenmatches mehr absolviert hat, bei ihrem ersten Profiturnier in Oakland die Weltranglistenzweite Arantxa Sánchez Vicario an den Rand einer Niederlage drischt. Dass aus der Spanierin kurzerhand und konsequent die Weltnummer 1 gemacht und sie als beste Spielerin des Planeten apostrophiert wird, ist dabei sicher affig, aber nicht so peinlich, wie wenn ein potenzieller Williams-Sieg an diesem vergleichsweise unbedeutenden Turnier zur grössten Sensation der Sportgeschichte stilisiert wird, grösser noch als «Ali vs. Frazier», wie jemand mit einem missglückten Versuch zur Chiffre für den ultimativen Aussenseitersieg rausposaunt. Da macht sich der Film mithin wichtiger, als er ist. Und es zeigt sich, dass das Sportliche nicht sein Ass ist. Ja, dass dies recht eigentlich nicht mal wirklich ein Sportfilm ist.

Sehr solide in Szene gesetzt

Vielmehr ist das die Geschichte eines zähen Mannes, der gegen alle Widerstände und jede Wahrscheinlichkeit immerhin für zwei seiner zahlreichen Kinder das Tor zu unsterblichem Ruhm aufgestossen hat – oder ihnen zumindest sehr nachdrücklich gezeigt hat, wo dieses steht, sie auf Schritt und Tritt bis an dessen Schwelle begleitet und ihnen dann den letzten Schubs gegeben hat, damit sie hindurchgehen und die Weltbühne betreten. Und es ist auch die Geschichte eines schwarzen Mannes, der sich «straight outta Compton», also direkt aus dem damaligen Problemviertel von Los Angeles, in dem er seine zweite Familie gegründet hatte, mit unerschütterlichem Glauben an seine Wunderkinder aufmachte, es den weissen Snobs zu zeigen. Das Rassismus-Motiv wird vom Film dabei freilich nicht überstrapaziert, sondern im Gegenteil sehr geschickt dezent und quasi unterschwellig eingeflochten – etwa wenn der Williams-Clan frohgemut unter den kritischen Blicken der blütenweissen blonden Damen und Herren im Tennisklub einmarschiert und sich nicht im Geringsten beeindrucken lässt. Wenn dann indes gleichenorts sämtliche anderen Eltern als Tyrannen und Mogler und alle übrigen Mädchen als freudlose und jähzornige schlechte Verliererinnen dargestellt werden, driftet «King Richard» ins Karikierende ab und tut sich gar keinen Gefallen. Zum Glück aber macht der Film nicht viele solcher «unforced errors»; meistens gleitet er ziemlich souverän und geschmeidig durch die sich immer recht vertraut anfühlenden Szenarien und gewinnt unter dem penetrant Pathos heischenden Gedudel des Soundtracks dem von Pomp und Glorie umhüllten Standardrepertoire hie und da sogar erinnerungswürdige Momente ab. Zweieinhalb Stunden scheinen zwar doch recht üppig für eine Geschichte, die sich in zwei Sätzen zusammenfassen lässt und deren Ausgang obendrein allgemein bekannt ist. Doch erstens langweilt der vom noch nicht allzu profilierten Reinaldo Marcus Green sehr solide in Szene gesetzte Film trotz repetitiver Tendenzen nie; und zweitens bleibt so genügend Zeit, auf jene Dinge zu fokussieren, die sich im Schatten von Will Smith auch noch ereignen. Und das ist unbedingt lohnenswert – trifft man dabei doch nicht nur den so viel beschäftigten Jon Bernthal in der Rolle des stets auf- und bisweilen überdrehten Coachs Rick Macci oder den immer gern gesehenen Gast Tony Goldwyn als Trainer Paul Cohen, sondern man entdeckt auch die Newcomerinnen Saniyya Sidney als Venus und Demi Singleton als Serena Williams.