Reise zum Mutterglück

Mit einem anspruchsvollen, aber wirkungslosen Konzept versucht «Happiness»-Regisseur Todd Solondz in «Palindromes» vergeblich, der Abtreibungsproblematik Erhellendes hinzuzufügen.

 

von Sandro Danilo Spadini

Ein Palindrom, weiss der Linguist, ist ein Wort, das vorwärts wie rückwärts gelesen gleich lautet. Aviva ist zum Beispiel so ein Palindrom, und Aviva heisst denn auch die Heldin des mit «Palindromes» betitelten neuen Films von Todd Solondz. Gut, das wäre dann also geklärt. Bleibt jetzt bloss noch die Frage nach der tieferen Bedeutung des Ganzen. Und hier wird es bereits schwierig. Vielleicht soll das ja bedeuten, dass man «Palindromes» von vorne, von hinten oder von wo auch immer anschauen kann und diese tragikomische Fabel am Ende doch immer dasselbe bleibt: ein Film, der nicht nur eine fassbare Aussage, sondern auch eine klare Struktur, einen tauglichen Aufbau und die anderweitig bei Solondz anschaulich dokumentierte Gewitztheit vermissen lässt. 

Unentschlossene Odyssee

Erzählt wird in «Palindromes» die Geschichte angesprochener Aviva, eines wohl etwa zwölfjährigen Mädchens, das beseelt ist vom Wunsch, ein Kind zu kriegen, zumal es so, wie es sagt, immer jemanden zum Lieben hätte. Als sie von einem Nachbarsjungen geschwängert wird, sieht sich Aviva am Ziel ihrer Träume, doch wird sie von ihren Eltern (Ellen Barkin und Richard Masur) zur Abtreibung gezwungen. «Das ist doch noch gar kein Baby. Das ist mehr so etwas wie ein Tumor», versucht ihre Mutter sie zu überzeugen. Aber Aviva ist nicht zu überzeugen und läuft von zu Hause weg, um fern von den verständnislosen Erziehungsberechtigten erneut ihr (Mutter-)Glück zu versuchen. Was sie auf der folgenden Odyssee erlebt, ist dann freilich das zu erwartende Gemisch aus Enttäuschungen und Erfahrungen – und letztlich nur halb so interessant, wie es uns Solondz glauben machen möchte. In etwas gar schlichten Bildern und mit einfachsten, fast schon lieb- und kunstlosen stilistischen Mitteln wird hier eine Reise geschildert, deren Inszenierung geprägt ist von einer gewissen Unentschlossenheit. So mag sich Solondz etwa nicht ausschliesslich auf den zentralen Punkt seines Films, die Abtreibungsfrage, konzentrieren, sondern muss überflüssigerweise auch noch das Thema Pädophilie ins Spiel bringen, das er bereits in seinem Geniestreich «Happiness» hinreichend beleuchtet hat. Schleierhaft bleibt so am Ende, was uns Solondz mit alledem jetzt denn sagen will – was sehr wohl folgerichtig ist, hat er doch selbst erklärt, dass sein Film keine spezielle Aussage habe.

Zu ambitioniertes Konzept

Problematisch wird es bei «Palindromes» indes nicht nur bei der Sinnsuche; als mässig wirkungsvoll erweist sich auch das ambitionierte Konzept, die Heldin von sieben – teils auch in Alter und Hautfarbe – verschiedenen Darstellerinnen (und in einem Fall sogar von einem Jungen) spielen zu lassen. Dass dieser Kunstgriff nur auf dem Papier, nicht aber auf der Leinwand seinen Reiz hat, liegt auch daran, dass es halt doch eine ziemlich beknackte Idee ist, die Rolle des Teenagers Aviva in einer der acht Episode mit der – sich obendrein auch noch formschwach präsentierenden – 43-jährigen Jennifer Jason Leigh zu besetzen. Geschlossenheit ist mit dieser Strategie, diesem Film gewordenen Casting mit unterschiedlich talentierten Miminnen, und der daraus zwingend folgenden Episodenhaftigkeit, die Solondz schon in «Storytelling» zum Stilprinzip gemacht hat, natürlich nicht zu erzielen; wenigstens aber ist über den ganzen Film hinweg, gerade auch im Spiel der einzelnen Darstellerinnen, eine gewisse Kontinuität auszumachen. Gebrochen wird diese einzig im sich in Länge, aber auch Spannungsgehalt deutlich vom ansonsten eher langfädigen Rest abhebenden Abschnitt, der Aviva zwischen Gebet und Christen-Pop im von Nächstenliebe erfüllten Hause von religiösen Abtreibungsgegnern zeigt. Hier hat «Palindromes» seine stärksten, aber auch fragwürdigsten Szenen, ist das ganze Segment von Solondz doch als regelrechte Freak-Show inszeniert, die ihre handicapierten Protagonisten wiederholt der Lächerlichkeit preisgibt. Was Alexander Payne mit seinem ähnlich gelagerten Debüt «Citizen Ruth» so beeindruckend gelungen ist – eine amüsante wie kluge Auseinandersetzung mit der Abtreibungsproblematik in den USA im Spannungsfeld von religiöser und ethischer Überzeugung, Doppelmoral und Scheinheiligkeit –, bleibt Solondz so letztlich schuldig.