Es war einmal und ist immer noch in Amerika

Brad Pitt als philosophierender Berufsmörder: Mit «Killing Them Softly» hat Regietalent Andrew Dominik einen Antithriller gedreht – in Zeitlupe und Gemäldeformat.

 

von Sandro Danilo Spadini

Am Anfang hört man Obama. Eine Rede aus dem Wahlkampf 2008. Etwas von Change. Von Versprechen. Von einem grossartigen Amerika. Und dazu sieht man ein Bild wie zum Hohn der hehren Worte: Ein drogenkaputter junger Mann schlurft durch eine vermüllte urbane Ödnis voller welker Politikerposter. Irgendwo im hurrikanversehrten New Orleans ist das, wo Wahlkampfparolen nur noch hohl klingen mögen. Weil sich hier nie was ändern wird. Weil hier zu viele Versprechen leer geblieben sind. Weil hier Amerika nur noch eins ist: fertig. Am Schluss von Andrew Dominiks «Killing Them Softly» wird dann wieder Obama reden. Etwas von einem geeinten Land. Und Brad Pitt wird dazu die Nase rümpfen und ätzen: «Amerika ist kein Land, es ist ein Business.» Das ist harsch. Das ist zynisch. Das ist aber leider auch ein zulässiges Fazit der finanziellen und politischen Bodenlosigkeiten der letzten Krisenjahre, auf die dieser gerne harsche und zynische Film eine schlüssige Parabel ist.

Den Mob bestohlen

Dabei ist von moralisch verwahrlosten Finanzmärkten und regulierungsunwilligen Politikern in der Vorlage zu Dominiks dritter Drehbuch- und Regiearbeit sicher nichts zu lesen – schliesslich schrieb George V. Higgins seinen Roman «Cogan’s Trade» schon 1974. Doch für Dominik waren die Parallelen so frappant, dass er die Geschichte einfach in die jüngste Vergangenheit versetzen musste, wie er beim Filmfestival in Cannes sinnierte: «Als ich anfing, den Roman zu adaptieren, war es die Geschichte einer Wirtschaftskrise, und es war die Krise in einer Wirtschaft, welche durch Glücksspiel finanziert wurde – und die Krise trat durch einen Fehler in den Bestimmungen auf.» Jawohl, das klingt nach heute; und deshalb liegt jetzt mit «Killing Them Softly» mehr als ein handwerklich stupender Film vor: nämlich auch ein selten kluger Kommentar zu Kultur und Kapitalismus made in USA. Verpackt ist dieser freilich in eine noirhafte Crime Story, die damit beginnt, dass Frankie (Scoot McNairy), der Typ vom Anfang, und Russell (Ben Mendelsohn) sehenden Auges eine Pokerrunde der Mafia überfallen. Während sie das tun, redet hinten im Fernsehen Bush über den Bail-out der Banken: wird also gerade das amerikanische Volk bestohlen. Eine schöne Verquickung ist das und ein schon nötiges Schmankerl, das einen für das überaus holprige Spiel der beiden bisherigen Protagonisten entschädigt. Zum Glück taucht nun bald der wahre Held auf. Johnny Cashs «The Man Comes Around» kündet ihn an – nach über 20 Minuten ist Brad Pitt alias Jackie Cogan dann endlich da. Im schneidigen Siebzigerschlitten – eine der vielen Reminiszenzen an Amerikas bessere Zeiten – fährt er vor, um die Dinge ins Lot zu bringen für den modern betriebswirtschaftlich agierenden, anonym bleibenden Mob: ein Vollstrecker zeitwidrigen Zuschnitts, der lieber «sanft» aus der Distanz tötet und der gerne über die Lage der Nation philosophiert.

Einer wie Malick

Ja, es wird viel geredet in «Killing Them Softly», und es wimmelt nur so von nölenden Gangstern, die sich in endlosen Anekdoten verlieren – so auch James Gandolfini als schon um 14 Uhr besoffener und immer geiler Profikiller, der eigentlich Cogan assistieren sollte. Wiewohl sich Dominik an Genreklassiker wie «Pulp Fiction» oder «GoodFellas» anlehnt, ist das denn auch oft weniger Thriller als eine kammerspielartige Milieustudie mit schwarzhumorigem Anstrich. Und selbst wenn es zur Sache geht, geschieht das meist in (Super-)Zeitlupe – und im Gemäldeformat. Aufreizend langsames Erzähltempo und angeberisch brillanter Bildbombast: Damit hat Dominik bereits im 160-Minuten-Western «The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford» aufhorchen lassen. Als Erbe Terence Malicks bot sich der nun 45-jährige Australier an in seinem ebenfalls von einem grossartigen Brad Pitt getragenen ersten Amerika-Abgesang. Und damit auch als einer, der kaum traditionellen Kinoformeln folgt. So wie sein Antiwestern dürfte daher nun auch sein Antithriller jene vergraulen, die mit einem süffigen Brad-Pitt-Vehikel rechnen. Und jene verzücken, denen scharfsinnige Hintergedanken und kunstsinnige Oberflächen geradeso lieb sind wie ein knackiger Plot.