Erst «the business», dann «la famiglia»

In «House of Gucci» flirtet Regieroutinier Ridley Scott mit Epik und Exzess. Zum Beben kommt seine stellenweise barock inszenierte Familiensaga aber vor allem dank der überlebensgrossen Performances ihrer Stars.

Universal

von Sandro Danilo Spadini

Reichtum. Stil. Macht. Dafür sei der Name Gucci ein Synonym, tönt es als Erstes aus dem Off. Aber da sei eben auch dieser Fluch, der auf ihm laste, fügt die Stimme gleich noch an. Und wir wissen nur zu genau, was sie damit meint. Denn diese stets leicht heissere Stimme, sie gehört der ominösen Patrizia Reggiani (Lady Gaga), Tochter eines Transportunternehmers aus Norditalien und weltbekannt dafür, dass sie ihren Ex-Mann Maurizio Gucci (Adam Driver) am 27. März 1995 vor den Toren seines Mailänder Büros von einem Auftragskiller hinrichten liess. In den blasierten Augen ihres Schwiegerpapas Rodolfo (Jeremy Irons) war sie immer schon ein Emporkömmling, jemand, der nur auf das Geld seines Sohns aus war, dieses leicht linkischen Lulatschs mit den Veloklammern und der riesigen Brille, der sich zunächst kaum um das Familienunternehmen scherte und lieber Jurisprudenz studierte. Es ist denn auch die resolute Patrizia, die hier von Beginn weg das Kommando hat. Die Maurizio nach ihrer ersten zufälligen Begegnung nachstellt und ihn doch ziemlich zügig in den Hafen der Ehe lotst. Und ebenso ist es sie, die ihn später ins Zentrum der Familienmacht rückt, die Intrigen gegen seinen Onkel Aldo (Al Pacino) und dessen trotteligen Sohn Paolo (Jared Leto) spinnt und wesentlich Einfluss darauf nimmt, wohin sich das kriselnde Haus Gucci entwickeln wird. Die Früchte ihres Eifers kann die machthungrige und rachedurstige Strippenzieherin dann freilich nur mehr bedingt ernten. Als sie mehr und mehr ihr wahres Gesicht zeigt, wendet sich der längst emanzipierte Maurizio schliesslich von ihr ab – ein tödlicher Fehler, wie wir wissen.

Sündhaft teure Seifenoper

Gut 160 Minuten gönnt sich Regieroutinier Ridley Scott, um einen Ausschnitt von rund 25 sturmumtosten und skandalumwitterten Jahren aus dem Innersten des italienischen Mode-Adels im Panoramaformat auszubreiten. Und nicht nur via die Laufzeit neigt sein Film zum Epischen und zum Exzess: Zwecks maximalen Zelebrierens dieser Saga, die ohnehin schon bunter, schriller und grösser als das Leben ist, fährt er die Jukebox hoch, schmeisst die Nebelmaschine an und lässt seine mit dickem italienischem Akzent parlierenden und mit feuriger Wucht gestikulierenden Stars von der Leine. Gar manche Szene steht dabei nicht so sehr im Dienst der Handlung; vielmehr baut Scott da Laufstege für seine motivierten Mimen und stellt ihnen ein Schaufenster hübscher und edler als das andere auf, wo sie schwerstes Geschütz auffahren und ein regelrechtes Wettrüsten anzetteln dürfen. Da wird dann zwar auch mal über das Ziel hinausgeschossen und gerade von Jared Leto an und über der Grenze zur Parodie agiert und chargiert. Dies freilich nicht, weil die Stars es nicht besser wüssten, sondern weil Scott das exakt so will. Denn der Ansatz, den der bald 84-Jährige hier verfolgt, ist ein durchaus seifenopernhafter. Wie eine überlange und sündhaft teure De-luxe-Folge von «Dynasty» wirkt sein «House of Gucci» mitunter gleichsam – gewürzt indes mit einer Menge Selbstironie und gleichzeitig geschlagen mit einem Hang zu einer gewissen Aus- und Abschweifung, die schon mal ins Orientierungslose kippt, wenn Scott inmitten all der glitzernden Stars und glamourösen Sets, ob all des schnieken Glanzes und der schicken Glorie, über all dem hohlen Prunk und der hehren Pracht etwas die Übersicht verliert und seine Erzählung wie das traumversunkene Blättern in einem Klatschmagazin wirkt. Und es macht es da natürlich nicht besser, dass seine Inszenierung auch hier, wie schon in der ebenso in Italien angesiedelten Entführungsgeschichte «All the Money in the World» (2017), stellenweise doch recht barock geraten ist und sein Italien-Bild eine allzu folkloristische Tönung aufweist. Entsprechend ertappt man sich immer wieder dabei, sich auszumalen, wie viel grösser diese Geschichte in den Händen eines Martin Scorsese herausgekommen wäre.   

Oscar-reife Lady Gaga

Der auf seine alten Tage hin überaus Europa-affin gewordene Scott, der derzeit auch noch das französische Historiendrama «The Last Duel» am Start hat und gerade einen Napoleon-Film dreht, erweist sich also als halbe Fehlbesetzung. Derweil braucht es zwei Szenen mit Lady Gaga, um zu realisieren, dass sich das Investment in diesen über zweieinhalbstündigen Ritt lohnen wird: In ihrer zweiten Filmrolle knüpft die Pop-Ikone wie selbstverständlich an ihr überragendes Debüt vor drei Jahren im Musikfilm «A Star Is Born» an, offenbart dabei aber imposanterweise gänzlich andere Qualitäten. Und dazu hat sie reichlich Gelegenheit. Denn während Pacinos, Irons’, Letos und auch Salma Hayeks Figuren mehr dem Kolorit und der Illustration dienen, stattet Scott die Eheleute Patrizia und Maurizio mit einem gewissen Innenleben und so etwas wie einer Seele aus, löst sie aus dem Comichaften heraus und erlaubt es Lady Gaga und Adam Driver, in schlichteren Szenen diese Karikaturen ein wenig zu konturieren. Das geht dann zwar abermals auf Kosten der Dynamik, einer Qualität, über die «House of Gucci» jetzt sowieso schon nicht im Überfluss verfügt. Aber auch wenn manches davon scheinbar zu nichts führt und den Plot noch weiter in die Länge zieht, so sieht man den überlebensgrossen Performances der Stars doch immer sehr gerne zu und ist recht fasziniert von der zunehmenden Wirrnis und Skrupellosigkeit ihrer Figuren. Ebenso vermag diese Welt, in der Stil und Charme alles und trotzdem die meiste Zeit absent sind, einen in ihren schamlosen Bann zu ziehen: die Armseligkeit und Hässlichkeit, mit der diese Reichen und Schönen sich gerieren, aber auch die zwischen Mailand und New York geschriebene, zwischen Traditionen und Visionen aufgeriebene Firmensaga und das selten je sentimentale Geschäftsgebaren, das die Sorge um das Business stets über das Wohl der Familie stellt. Es bleibt dies freilich eine fremde Welt, eine unerreichbare, die wir wie die unerschwinglichen Produkte dieses Horrorhauses staunend und oft gebannt durch ein Schaufenster betrachten. Und wiewohl hier nicht alles makellos ist, so ist es doch ein Segen, dass Hollywood ab und zu noch solch grosse Kisten macht: Filme, die diesen Namen auch tatsächlich verdienen.