Kugelhagel über dem Sündenpfuhl

Mittels digitaler Tricktechnik erzeugt Robert Rodriguez in der  expressionistischen Film-noir-Variation «Sin City» einen Bilderrausch in Schwarz-Weiss und erweckt so Frank Millers Hardboiled-Comics zu prallem Kinoleben.

 

von Sandro Danilo Spadini

Gammlige Gassen, schummrige Schuppen, modrige Mördergruben – Kugelhagel, Donnerhall, Blutregen: So schaut es aus in der von Comic-Autor Frank Miller ersonnenen Stadt der Sünde. Fluchende Kerle, brüllende Killer, dröhnende Kampfmaschinen – Rauch, Pech, Schwefel: Die sogenannten Hardboiled-Thriller aus den Fünfzigern lassen grüssen. Billige Flittchen, biestige Sirenen, bissige Furien – Fleischeslust, Liebeshunger, Sinnesreiz: Archaische Triebe steuern hier das gerne blutige Geschehen. Käufliche Bullen, korrupte Schlipsträger, kannibalische Unholde – Schweiss, Schwindel, Schweinereien: Zutritt erfolgt auf eigene Verantwortung. Kaputte Typen, krude Figuren, kernige Helden – Schwermut, Sprücheflut, Schiesswut: Willkommen in der Hölle, willkommen in Sin City!

Ein Wahnsinnsgeniestreich

Der halsbrecherischen Herausforderung, Auszüge aus Millers düsterer Comic-Reihe in bewegte Bilder zu verwandeln, hat sich nun mit Robert Rodriguez («From Dusk Till Dawn») ein Mann gestellt, der schon immer die Grenzen des (technisch) Machbaren ausgelotet hat. Mit der «El Mariachi»-Trilogie, aber auch den «Spy Kids»-Kinderfilmen hat sich der 37-Jährige denn auch hinreichend als innovativer Filmemacher profiliert und sich damit wie kein Zweiter für das «Sin City»-Abenteuer qualifiziert. Ein konformistischer Regisseur hätte aus dem unkonventionellen Stoff wohl das herkömmliche Desaster fabriziert, ein begabter Künstler vielleicht einen reizvollen Film, der von der Comic-Fangemeinde durchaus mit einem kollektiven Kopfnicken quittiert worden wäre; ein völlig entfesselter Verrückter wie Robert Rodriguez jedoch hat ein Meisterwerk geschaffen und Millers Vorlage mit einem brachialen Volltreffer verwertet. Nebst Kerry Conrans – letztlich allerdings nur leidlich gefälliger – Sciencefiction-Oper «Sky Captain and the World of Tomorrow» ist das zweifellos der formal revolutionärste Film des neuen, des digitalen Kinozeitalters. Nur unzureichend lässt sich dieser Wahnsinnsgeniestreich freilich mit dem Begriff «Comic-Verfilmung» beschreiben, denn so etwas wie «Sin City» ist bis dato gar noch nicht da gewesen. So gelang es Rodriguez, mittels digitaler Tricktechnik Millers Zeichenstil praktisch eins zu eins in sein Pop-Kunstwerk zu transponieren. Indem er sich bei den nach vollbrachter Schauspielerarbeit in die Aufnahmen hineinkopierten Computer-animierten Hintergründen aufs Engste an Millers Storyboards hielt, erreicht seine Adaption ein solches Mass an Originaltreue, dass der Vorlagengeber gar als Co-Regisseur aufgeführt wurde. Beibehalten wurde selbstredend auch das – am Rechner grandios in einem zwischen Film noir und deutschem Expressionismus variierenden Stil ausgeleuchtete – Schwarz-Weiss des Originals sowie Millers so simpler wie wirkungsvoller Kniff, einzelne Elemente mit kitschig-knalligen Farben zu versehen.

Grosses Staraufgebot

Doch auch wegen ihres flatterhaften Erzählstils und des stets verschärften Tempos wirkt Rodriguez’ kongeniale und konsequente Umsetzung am Ende so, als sei dieser urbane Sündenpfuhl mittels Stromstössen und Adrenalininjektionen zum Leben erweckt und vom Papier direkt auf die Leinwand geschleudert worden. Eher unspektakulär nehmen sich gegenüber dem visuellen Zauber – zu dem als Gastregisseur auch Rodriguez-Komplize Quentin Tarantino beigetragen hat – dann die drei allenfalls lose zusammenhängenden, mit markigen Worten aus dem Off kommentierten (Groschenroman-)Geschichten dieses «Comic noir» aus; sie sind mehr Pflicht als Kür, vermögen dank ihres anachronistischen Erzähltons und der Schweiss treibenden Beiträge einer veritablen Star-Armada aber gleichwohl zu behexen. Eine ordentliche Prise Sex verströmen dabei betont lasziv und leicht geschürzt durch die Szenerie stöckelnde Schönheiten wie Jessica Alba, Brittany Murphy und Carla Gugino, derweil sich die bartlosen Jünglinge Elijah Wood, Nick Stahl und Josh Hartnett in ungewohnt finsteren Rollen präsentieren. Bestimmt wird das sündige Treiben indes von vierschrötigen Recken wie Bruce Willis, Michael Madsen, Benicio Del Toro, Clive Owen und vor allem Mickey Rourke, der hier wie schon im bei uns nie gezeigten Drogendrama «Spun» demonstriert, welch unendlich talentierter Schauspieler sich hinter all dem Zigarettenqualm verbirgt. Ein Glück also, dass bereits in Kürze weitere schlagende Argumente für Rourkes längst fälliges Comeback geliefert werden: Derzeit destilliert Rodriguez aus Millers voluminösen Werk eine Fortsetzung, Teil drei ist ebenfalls schon in Planung.