Haus der Psychospiele

Noch fieser, noch blutiger und mindestens so clever: Die Fortsetzung des Vorjahrs-Überraschungshits «Saw» hält trotz dürftiger darstellerischer Leistungen von Anfang bis Ende in Atem.

 

von Sandro Danilo Spadini

«O ja, es wird Blut geben», prophezeit der krebs- und sicher auch hirnkranke Psychopath mit Kampfnamen Jigsaw (Tobin Bell) zu Beginn von «Saw II». «O nein, es wird mir der Kamillentee hochkommen», mag demgegenüber schon kurz darauf manch ein sensiblerer Zeitgenosse mit Recht stöhnen. Denn es wird in der Tat Blut geben, und zwar eine ganz unschöne Menge. Gar garstiger noch als der im Vorjahr zum Überraschungshit avancierte Vorgänger, lässt dieser fiese, ja erzböse kleine Thriller nämlich kaum eine Gelegenheit aus, mit fantasievoll sadistischen Schockeffekten Pluspunkte beim hart gesottenen Genrepublikum zu sammeln. Im Dienste der Handlung haben diese freilich nicht zwingend zu stehen. Bisweilen scheint es vielmehr die pure Lust am Quälen zu sein, die den 27-jährigen Schlachtergesellen Darren Lynn Bousman beim Schreiben des Drehbuchs und beim Inszenieren des blutigen Treibens zu immer wieder neuen Grausamkeiten inspiriert hat. Und bisweilen – allerdings nur ganz selten – sollen mit all dem Blut wohl auch bloss Skript- und Spannungslöcher zugekleistert werden. Jugendlichen Übermut und eine gewisse Unreife möchte man Bousman da unterstellen – und mit Blick aufs Ganze dann sogleich auch wieder verzeihen, ist doch «Saw II» allen Grausligkeiten und Perversitäten zum Trotz insgesamt ein Sequel der gelungeneren Sorte. Und das ist nicht zuletzt einer die Logik ausnahmsweise nicht beleidigenden Schlusspointe geschuldet, die im Vergleich zum Vorgänger ungleich raffinierter und überzeugender ist.

Unkontrollierter Spieltrieb

Derweil auf dem Regiestuhl gegenüber Teil eins ein Wechsel stattgefunden hat und das Zepter und der Lötkolben vom Australier James Wan auf den Amerikaner Bousman übergegangen sind, blieben die wichtigsten Mitglieder der Crew an Bord. Entsprechend hat sich auch wenig am (ansprechenden) Look verändert. Bruchreife Örtlichkeiten, Schmutz, Dreck und ein leichter Grünstich, eine clevere Ausleuchtung und ein Cutter am Rande des Nervenzusammenbruchs sorgen für einen hohen Wiedererkennungseffekt. Ganz der Alte geblieben ist auch Jigsaw: Noch immer vermag er seinen Spieltrieb nicht unter Kontrolle zu halten, und bezüglich Einhaltung der Regeln ist er nach wie vor penibler als ein frustrierter Fussballschiedsrichter. Berührungsängste mit den Hütern des Gesetzes hat er indes keine. Bereits nach der ersten dem schaulustigen Betrachter als Appetithappen zum Frass vorgeworfenen Gräueltat lässt er sich seelenruhig von einem Polizeiteam um Detective Mathews (Donnie Wahlberg) an seiner Folterkeller-ähnlichen Wirkungsstätte schnappen. Ein knapper Verweis auf ein paar Computerbildschirme genügt dann aber, um dessen Grinsen aus dem Gesicht verschwinden zu lassen: Zu sehen gibts dort nämlich fast zehn kleine Menschlein unterschiedlicher Rasse, die seit geraumer Zeit einem todbringenden Nervengas ausgesetzt sind. Eingesperrt sind sie in einem Haus, das bei «Schöner Wohnen» ganz gewiss nie die Titelstory kriegen wird, das stattdessen aber mit tödlichen Fallgruben und teuflischen Blendwerken protzt. Was Jigsaw dabei Mathews volle Aufmerksamkeit sichert, ist der Umstand, dass sich unter den um ihr Leben rennenden, kämpfenden, schreienden Spielfiguren auch dessen Sohn (Erik Knudsen) befindet.

Bewährte Grundanordnung

Die physische Anwesenheit des Serienkillers stellt die kühnste konzeptuelle Neuerung zum ersten Teil dar. Mittels dieser neuen Spielvariante eröffnen sich Regisseur Bousman augenscheinlich zweierlei Vorteile: Zum einen kann er so die Leinwandpräsenz des faszinierend böse agierenden Tobin Bell massiv erhöhen – was insofern dankbar angenommen wird, als der Rest der namenlosen Besetzung sich nicht gerade nachdrücklich für höhere Weihen empfiehlt. Zum anderen darf damit auch er einmal sattsam erprobte Genreformeln anwenden: Es gilt hier also abermals einem Wahnsinnigen mit philosophischer Agenda dabei zuzuschauen, wie er mit einem reichlich Angriffsfläche bietenden Ermittler psychologische Spielchen spielt. So manches Déjà-vu-Erlebnis provoziert zudem die faktische Ausgestaltung dieses Grundschemas – viele von Bousmans Ideen hat man bereits vor einigen Jahren im ähnlich holprig gespielten kanadischen Thriller «Cube» verwirklicht gesehen. Doch seis drum. Inszeniert ist das Ganze schnell wie stimmig, erzählt ist es spannend wie schlüssig, und den zuvor schmerzlich vermissten Schuss Originalität präsentiert Bousman dann zum Schluss doch noch. Buchstäblich letzten Endes widerlegt «Saw II» so die These, dass Sequels grundsätzlich überflüssig sind. Und der dann und wann aufkommende Brechreiz wird auch wieder vorübergehen. Andernfalls gönne man sich mal einen Kamillentee.