Ein Sturm wird kommen – so oder so

In dem so beeindruckenden wie beunruhigenden Drama «Take Shelter» spielt der formidable Michael Shannon einen Familienvater, der von apokalyptischen Visionen geplagt wird.

von Sandro Danilo Spadini

Eine ganze Reihe Wahnsinniger hat dieser Michael Shannon inzwischen schon gespielt: am erfolgreichsten bei seinem Oscar-nominierten Auftritt in Sam Mendes' «Revolutionary Road», am nachdrücklichsten mit seiner wiederkehrenden Rolle in Martin Scorseses Serie «Boardwalk Empire». Steht also der Name Michael Shannon oben auf dem Filmplakat, ist mit Gespenstischem zu rechnen. Und in der Tat scheint sein Curtis recht komisch, wenn er in der Auftaktsequenz von «Take Shelter» gen Himmel blickend vor seinem Haus steht und es auf sich niederprasseln lässt. Doch dann sehen wir ihn am Frühstückstisch mit der Gattin (Jessica Chastain) und der kleinen Tochter; und wiewohl es etwas Unstimmiges hat, einen Michael Shannon mit einem Kind zu sehen, ist das die bare amerikanische Normalität. Die darauf einsetzende Drohmusik kündet zwar an, dass sich das schnell ändern kann und bald wohl auch wird. Einstweilen jedoch gönnt sich Curtis ein Feierabendbier mit seinem besten Kumpel (Shea Whigham, ebenfalls aus «Boardwalk Empire») – noch immer die Ruhe selbst und die Normalität in Person. Verrückt spielt erst mal nur das Wetter. Und dann auch noch der Hund. Das freilich nur in Curtis‘ Albträumen, die sich nun mehren und ihn respektive Michael Shannon schliesslich doch noch dorthin bringen, wo sich dieser sehr spezielle Schauspieler heimisch fühlt: in den Wahnsinn.

Ein Hoffnungsschimmer

Noch bevor die erste von vier halben Stunden um ist, hat sich das ehedem so normale Geschehen zu einem handfesten Horror ausgewachsen – mit dem von apokalyptischen Visionen geplagten Curtis im Auge des eingebildeten Tornados. Der ist sich indes bewusst, dass er wie einst die Mutter (Kathy Baker) an paranoider Schizophrenie erkrankt sein könnte, und sucht Hilfe. Das könnte Hoffnung machen; doch die trügerisch friedliche und tatsächlich so bedrohliche Atmosphäre unter dem weiten grauen Himmel lässt befürchten, dass das trotzdem nicht gut kommen wird. Auch trifft Curtis Vorkehrungen und stösst Warnungen aus, was ebenfalls Hoffnung machen könnte; doch der Blick in die ängstlichen Gesichter lässt erahnen, dass das nicht genug sein wird. Was einzig und wirklich Hoffnung macht, ist der Regisseur. Der heisst Jeff Nichols und mag es, die Publikumserwartungen zu unterlaufen. Das tut er hier in seinem erneut selbst verfassten Zweitling denn auch von Beginn weg, und er hat das schon im Vorgänger «Shotgun Stories» getan. In diesem rauen Drama aus dem Jahr 2007 war es ebenfalls Michael Shannon, der auf authentischem und urwüchsigem Terrain gegen ein weit im Voraus angekündigtes Unheil anspielte. Und dort wie hier hat Nichols den langen Leidensweg mit fruchtbaren Widersprüchen und in einem gleichsam hypnotischen Rhythmus in Szene gesetzt.

Dem grossen Finale entgegen

Versetzt hat Nichols derweil Schauplatz und Milieu: vom fortschrittsfernen Niemandsland einer resignierten Unterschicht in Arkansas nach Ohio in die aufregungslosen Suburbs einer um ihren Besitzstand bangenden Mittelklasse. Und er hat es gerne aufgeräumt hier: wenige Leute, karge Worte und ein oft gut überschaubares und klar angeordnetes Set mit nur dem Nötigsten. Da von einem minimalistischen Realismus zu sprechen, wäre zwar übertrieben. Doch fährt Nichols gerade im Mittelteil nicht nur das Erzähltempo, sondern auch die inszenatorische Dramatik massiv zurück. In diesem Stadium der auf zahlreichen Festivals prämierten Low-Budget-Produktion spricht das Verhalten von Curtis aber auch längst Bände; und weil Nichols kein Doppelmoppler ist, spart er nun eben mit den Visionen und den Eruptionen, den emotionalen wie auch den natürlichen mit ihren atemberaubenden Bildern von erhabener Schönheit. Was stattdessen in der Luft liegt, ist eine beunruhigende Ahnung: dass Nichols uns sachte auf ein grosses Finale vorbereiten will, auf die grosse Katastrophe. Und ein Sturm wird kommen, das ist klar. Nur dürfte der anders ausschauen und sich andernorts ereignen, als Curtis sich das so fieberhaft ausmalt – es sei denn, Jeff Nichols, dieser vielleicht nächste grosse amerikanische Autorenfilmer, überrascht uns noch mal.