von Sandro Danilo Spadini
Einmal tief Luft holen und rein in das Stahlbad. Rein in den von Frostschüben begleiteten Fiebertraum von Matt Damon alias Jason Bourne. Rein in «The Bourne Ultimatum», den letzten Teil der Trilogie um
den Agenten ohne Gedächtnis. Mittendrin ist man sofort. Regisseur Paul Greengrass macht nämlich keine Gefangenen und schleudert mit der vollen Wucht seines inszenatorischen Könnens sogleich den
ersten Szene gewordenen Adrenalinstoss auf die bald beinahe berstende Leinwand. Da ist er wieder, Jason Bourne, der Mann ohne Eigenschaften, die von allen gejagte Killermaschine, die sich seit
drei Jahren selbst sucht und dafür um die halbe, nein, ganze Welt reist. Wieder auf der Flucht ist er, keuchend, schwitzend, blutend. Er wird ihnen entkommen, wird sie schlagen, wird sie in die
Knie zwingen. Sie, die eiskalt arroganten Macht-Bürokraten, die nicht wollen, dass er sich findet, dass er herausfindet, wer er wirklich ist, wer er war, bevor er von ihnen zur leeren Hülle
gemacht wurde, um gedankenlos in ihrem Auftrag zu töten. Bourne wird gewinnen, denn er hat nichts zu verlieren. Bourne ist der Zauberlehrling, ist Frankenstein, ist das ausser Kontrolle geratene
Experiment, das seine Schöpfer heimsucht und mit in das tiefe schwarze Loch reisst, das sie für ihn gegraben haben.
Aussen ist innen
Bournes Rachefeldzug ist auch der Triumphzug seines eigentlichen Erfinders, seines faktischen Verkörperers und seines wahren Strippenziehers, namentlich von Romanautor Robert Ludlum, von
Hauptdarsteller Matt Damon und von Regisseur Paul Greengrass. Gerade was Greengrass in den 111 Minuten von «The Bourne Ultimatum» veranstaltet, ist wie schon sein magistrales 9/11-Drama «United
93» ganz hohe Filmkunst, ganz präzise Genrearbeit, ganz grosses Kino – furios, glorios, grandios. Als ungemein praktikabel erweist sich abermals der semidokumentarische Stil des Briten, der
bereits dem ungleich spannungsärmeren Vorgänger «The Bourne Supremacy» den Stempel aufgedrückt hat. Wackelkamera und schnelle Schnittfolge stehen hier freilich nicht im Dienste geschmäcklerischer
Formverliebtheit und sollen anders als bei manchem Kollegen schon gar nicht eine gewisse inszenatorische Limitiertheit kaschieren. Vielmehr sind sie recht eigentlich Konzept des Films, äusserer
Ausdruck der inneren Befindlichkeit des (Anti-)Helden. Wiewohl der Schauplatz allein in den ersten zehn Minuten ein gutes Dutzend Mal gewechselt wird, erzeugt die pulsierend realistische und in
jeder Hinsicht effiziente Inszenierung eine fast beispiellose atmosphärische Dichte, die sich allenfalls noch in den Genreproduktionen der Siebziger findet. Ähnlich wie dort sind in «The Bourne
Ultimatum» die Kampf- und Verfolgungsszenen intelligent platziert und wohl dosiert, reduziert auf ein nötiges Minimum, das gerade so bemessen ist, dass Actionfreunde zufrieden gestellt und eher
anderweitig Interessierte nicht gelangweilt werden. Diese Taktik gereicht im Sinne einer breiten demografischen Abdeckung und also eines hohen Profits indes nicht nur zum monetären, sondern vor
allem auch zum künstlerischen Wohle des Films. Denn wenn es einmal kracht, dann verfehlt das seine Wirkung nicht und reisst den andernorts ja zu oft einer regelrechten Reizüberflutung
ausgesetzten Zuschauer auch wirklich mit. So etwa bei dieser einen absurd rasant geschnittenen, scheinbar endlos ohne Dialog und ohne den sowieso sparsam eingesetzten Klasse-Soundtrack
auskommenden Kampfszene mit Bourne und einem seiner Jäger. Eine irre, wirre, eine unglaubliche, verrückte, eine unglaublich brillante, verrückt fulminante Sequenz, die einen mit Staunen und
Schwindel zurücklässt!
Effizienz als Stärke
Überhaupt macht dieser Film einen fast benommen – zum einen wegen des TGV-Tempos, zum anderen wegen der versammelten Kompetenz hinter und auch vor der Kamera. Dort trifft man nebst dem für diese
Rolle schlicht perfekten Matt Damon wieder auf Julia Stiles und Joan Allen, die Bourne durchaus wohlgesonnen sind, auf David Strathairn und Scott Glenn, die von «Assets» reden und Menschen
meinen, und auf Albert Finney, dessen Funktion nicht verraten werden soll. Mit dem so simplen wie wirkungsvollen Verfahren des langen Close-ups bringt Greengrass einem all diese Figuren ein Stück
weit nahe, macht sie fassbar und unterscheidbar, teils liebens-, teils hassenswert, jedenfalls wichtig und interessant. Just solche Effizienz, solche Ökonomie, solcher Pragmatismus ist die grosse
Stärke dieses Paul Greengrass und dieses Films. Hier wird keine Zeit mit Scherzen und Schmusen vergeudet, hier geht es sofort und zu jeder Sekunde zur Sache. Und wenn alles vorbei ist, kann man
auch wieder Luft holen.