Götterdämmerung in der Engelsstadt

«Once Upon a Time... in Hollywood» ist ein stimmungsvoller und doppelbödiger, stilistisch und darstellerisch triumphaler Traum von einem Film – und Quentin Tarantinos ultimatives Kunstwerk.

Paterson Entertainment

von Sandro Danilo Spadini

Jetzt sagen wir es doch gleich geradeheraus: Wer das Kino liebt, der wird sich Hals über Kopf in diesen Film verknallen. Wer die Stars des klassischen amerikanischen Kinos vergöttert, der wird sich verzückt in Quentin Tarantinos neuntem Streich verlieren. Und wer nach der Geschichte und den Geschichten ebendieses im Verblassen begriffenen Kinos lechzt, der wird «Once Upon a Time... in Hollywood» schwerelos, hoffnungslos, bedingungslos verfallen. Man hat sich das ja erwartet, erhofft, erträumt, als ruchbar wurde, Tarantino kapitalisiere sein selbstbewusstes Filmgedächtnis, sein selbstherrliches Kinogewissen und nehme sich der wohl spannendsten Ära Hollywoods an. Mit Leonardo DiCaprio. Mit Brad Pitt. Mit Al Pacino. Und so finden wir uns also ins Frühjahr 1969 katapultiert, als die Hipster des New Hollywood die plötzlich so alt wirkenden Recken des Studiosystems bedrängten, Schauspieler an die Stelle von Stars traten. Leonardo DiCaprio, Brad Pitt und Al Pacino sitzen da in einem Raum, teilen sich dasselbe Set, und was soll man jetzt noch sagen ausser: Halleluja! Ein Wunder nur, dass dieses Set nicht explodiert ist vor Können und Charisma, vor Schauspielkunst und Starpower. Es funkeln hier schliesslich drei Legenden um die Wette, die wie ihr Maestro das Beste aus diesen beiden Zeitaltern verkörpern. Kino pur! Reinster Hollywood-Zauber!

Diese verdammten Hippies

Pacino wird freilich bald von der Bildfläche verschwinden. Er ist in diesem dialogfreudigen und ganz den Schauspielstars gehörenden Prolog nur da, um unserem Helden zu bestätigen, was der eigentlich schon längst selbst weiss: dass er sich in diesem veränderten Umfeld neu erfinden muss. «Es ist offiziell: Ich bin abgehalftert», bricht es denn auch selbstmitleidig aus dem Westernstar Rick Dalton (DiCaprio) heraus. Da verzagt gerade einer, der oben im Kino-Olymp so lange die Sonnenseiten des Geschäfts hat geniessen dürfen und jetzt unten auf dem Schauspielerviehmarkt realisieren muss, dass sein Typ nicht mehr gefragt ist. Götterdämmerung in der Engelsstadt – und dann noch überall «diese verdammten Hippies». Selbst daheim in den Hollywood Hills lungern sie herum, machen Rabatz und Remmidemmi. Und wer auch hier ist, und zwar im Haus nebenan: Roman Polanski (Rafal Zawierucha), «der heisseste Regisseur Hollywoods, ach der Welt», wie Rick zu seinem tiefenentspannten und nibelungentreuen Begleiter, Chauffeur, Laufburschen, Psychologen und vor allem Stuntman Cliff Booth (Pitt) sagt, als er den Schöpfer von «Rosemary’s Baby» in dessen schnittigem Sportwagen erblickt. Klar, da schwingt neben Bewunderung auch Neid mit; und als sich die Kamera zu Polanski ins Auto setzt und der dann hinein in die Nacht flitzt und runter in die Stadt fegt, als ob sie ihm gehöre, da empfinden wir das gleichsam als Verrat an Rick. Aber natürlich gehen wir mit, vertrauen blindlings unserem Guide auf dieser Tour durch das Tür an Tür hausende alte und neue Hollywood. Also treten wir in die Playboy Mansion ein, wo auch Steve McQueen (Damian Lewis) rumlümmelt. Wie Pacinos Figur hat dieser nur eine Funktion: uns jetzt auch noch die dritte Heldin des Films näherzubringen, die feenhafte Sharon Tate (Margot Robbie). Im echten Leben wird die aufstrebende Mimin und Gattin Polanskis ein halbes Jahr später tot sein, abgeschlachtet von derangierten Jüngern der Manson Family. Doch das ist nicht das echte Leben, das ist Hollywood – Quentin Tarantinos Hollywood. Und deshalb darf Sharon Tate hier strahlen wie ein kalifornischer Sonnenschein.

California Dreamin’

O diese Sonne: Auch wenn über diesem Gemälde trotz Tarantino-typischem Trara eine fast düstere Melancholie schwebt, durch diese ungewohnt reife und herzliche Götterdämmerung ein Hauch von Unheil wabert – eine der grössten Taten Tarantinos hier ist es, dieses absolut wundervolle Licht einzufangen, das Los Angeles so eigen ist. Beinahe meint man, im dunklen Kinosaal die Wärme auf der Haut zu spüren. So wie man das Gefühl hat, man cruise mit Cliff durch die Stadt oder kippe sich mit Rick einen hinter die Binde. Man ist sozusagen stets da in diesem Film. Präsent im Moment. Eingetaucht in einer mit Referenzen vollgepackten und Reverenzen gespickten Geschichte, die sich im Geist ihrer Zeit ziellos und träumerisch in Schlangenlinien und über Seitenstrassen durch die Gegend windet und sich nicht gross schert, wo das alles hinführen soll. «Once Upon a Time... in Hollywood» ist ein rauschender Streifzug durch L.A. Ein hippiebuntes Panorama über den Anbruch einer Ära. Dabei eine trotzige Hommage an die abtretenden Helden. Und auch der beste Film über das Wesen Hollywoods seit «Sunset Boulevard». Es ist Quentin Tarantinos ultimatives Kunstwerk.