von Sandro Danilo Spadini
Viel Zeit hat sich Regisseur und Drehbuchautor James Gray für sein zweites Werk gelassen. In seinem viel beachteten Debüt «Little Odessa», für welches er 1994 bei den Filmfestspielen in Venedig
ausgezeichnet wurde, erzählte Gray die Geschichte eines Auftragsmörders, der in sein Heimatviertel zurückkehrt und dort versucht, trotz Widerstand seines verbitterten Vaters seine todkranke
Mutter ein letztes Mal zu sehen. Sechs Jahre später wendet sich Gray mit «The Yards» abermals den Themen Familie und Schuld zu.
Korruption und Verrat
Aus der Haft entlassen, kehrt Leo (Mark Wahlberg) nach Hause zurück, um in der Firma seines Onkels Frank (James Caan) einen Neuanfang zu starten. Alles, was er möchte, ist wieder ein vollwertiges
Mitglied der Gesellschaft zu werden. Von seinem Freund Willie (Joaquin Phoenix) wird er jedoch in die korrupten Machenschaften seines Onkels eingeführt, in welche auch hohe politische
Würdenträger verwickelt sind. Als bei einem Sabotageakt auf ein konkurrierendes Unternehmen ein Wachmann getötet wird, gerät Leo fälschlicherweise unter Verdacht und taucht unter. Obschon er den
wahren Täter – nämlich Willie – schützt, muss er sich schon bald nicht bloss vor der Polizei, sondern auch vor Franks Leuten fürchten. Es ist ein düsteres Bild, das James Gray von der New Yorker
Gesellschaft zeichnet. Bestechung und Verrat sind hier an der Tagesordnung. Passend zu dieser pessimistischen Sicht der Dinge sind auch die Bilder komponiert. Sparsam beleuchtet und in blassen
Farbtönen gefilmt, bewegen sich die Figuren in einem leicht heruntergekommenen und äusserst realistisch wirkenden Ambiente. Nichtsdestotrotz mangelt es in «The Yards» an kraftvollen Bildern
keineswegs, obschon die Inszenierung bisweilen geradezu altmodisch wirkt. Schliesslich verzichtet Gray auf jegliches selbstverliebte Schnickschnack, erteilt den modernen Schnittechniken eine
eindeutige Absage und schlägt stattdessen einen äusserst ruhigen Erzählton an. Parallelen zu «Little Odessa» sind auch diesbezüglich unverkennbar.
Vielschichtige Charaktere
Die grösste Stärke von «The Yards» sind jedoch die glaubhaften, weil vielschichtigen Figuren und deren transparent geschilderten inneren Konflikte. Kann man Hauptdarsteller Mark Wahlberg noch
eine gewisse Trägheit – welche seine Rolle allerdings auch verlangt – vorwerfen, erweist sich der Rest der Besetzung bis hin zu den kleineren Nebenrollen als exzellent. Joaquin Phoenix, Charlize
Theron oder Ellen Burstyn wird die Show nur von Altstar James Caan gestohlen, der in Francis Ford Coppolas erstem «Paten» als ältester Sohn Sonny noch der designierte Thronfolger des grossen Dons
Marlon Brando war, in «The Yards» als skrupelloses Familienoberhaupt Frank aber alle Fäden fest in der Hand hält. Bei einem derart guten Gespür für Atmosphäre, Erzählrhythmus und Besetzung kann
man nur hoffen, dass sich James Gray für seinen nächsten Film nicht wieder so viel Zeit lässt.