Ein Zugfreund wird aus der Bahn geworfen

Das übermässig respektvolle Drama «The Railway Man» schildert die posttraumatischen Qualen eines einstigen Kriegsgefangenen und überzeugt dabei mehr schauspielerisch als erzählerisch.

 

von Sandro Danilo Spadini

Langsam muss man sich auch um Colin Firth sorgen. Nicht darüber zwar, dass er seinen Beruf verlernt hätte oder nur noch die ewig gleiche zugeknöpfte Nummer durchzöge. Insofern aber, als es ihm ergehen könnte wie nicht wenigen vor ihm und er in die karriereknickende Oscar-Falle gerät: In sieben Filmen hat der britischste aller Briten seit seinem Goldmann-Gewinn mit «The King’s Speech» vor dreieinhalb Jahren nur die nötigsten Mienen verzogen; doch trotz Kooperationen mit Atom Egoyan, Woody Allen und den Coens kam dabei kaum Fruchtbares heraus. So auch nicht bei dem mit noblen Absichten und Samthandschuhen hantierenden Drama «The Railway Man». Dieses erzählt basierend auf der Autobiografie seiner Hauptfigur von den posttraumatischen Qualen des Eric Lomax (Firth), der im Zweiten Weltkrieg in japanische Kriegsgefangenschaft geraten war. Als junger Zwangsarbeiter beim Bau der Thailand-Burma-Eisenbahn – als «Death Railway» berüchtigt und durch «The Bridge on the River Kwai» berühmt geworden – war er schlimmster Folter ausgesetzt; dank zweier markanter Begegnungen viele Jahre später fand er am Ende aber doch noch seinen Frieden.  

Himmel und Hölle

Die erste dieser beiden Begegnungen ereignet sich gleich zu Beginn des im Jahr 1980 im nordenglischen Northumberland spielenden Films des Australiers Jonathan Teplitzky («Burning Man»). Als Lomax da im Zug nach Edinburgh auf die dezent-hübsche Patti (Nicole Kidman) trifft und es trotz seines Sermons über Fahrpläne alsbald funkt, wirkt das noch recht lüpfig. Man meint, einen verschrobenen und leicht anstrengenden Eisenbahn-Aficionado vor sich zu haben: abgewetztes Cord-Sakko, zerzauste Frisur, unschicker Schnäuzer. Nach nur zehn Minuten aber ist der lustige Oberlippenbart ab, es wird geheiratet, Patti seufzt: «Ich bin so glücklich», und als sie noch selig unter der Dusche steht, wird uns schon klar: Ihr Frischangetrauter ist das ganz und gar nicht, und statt verschroben und leicht anstrengend ist er versehrt und schwer angespannt. Denn während seine Gattin noch im Himmel schwebt, durchlebt er die Hölle. Dass Teplitzky zu deren Visualisierung von der matt-grauen nordenglischen Küste rund vier Jahrzehnte zurück in den sonnig-grellen thailändischen Dschungel schwenkt, erweist sich dann als Knackpunkt. Zum einen sind solch abrupte Wechsel der Szenerie der atmosphärischen Stimmigkeit wenig dienlich – auch wenn oder gerade weil die Rückblenden nicht als kurze Erinnerungsschnipsel daherkommen, sondern als minutenlange Erzählungen mit einem glaubwürdigen Jeremy Irvine («War Horse») als jungem Lomax. Ihr anderes Problem ist das Repetitive: Es reihen sich da so lange Folterszenen aneinander, bis man nicht mehr hinschauen mag. Eine reisserische Absicht steckt dabei zwar nicht dahinter; ganz im Gegenteil scheint Teplitzky eine lähmende Heidenangst vor filmischer Zuspitzung zu haben und nur ja nichts trivialisieren zu wollen. Aber er glaubt, mit maximaler Deutlichkeit das Martyrium von Lomax auch ein Stück weit zu unserem machen zu können – was ihm freilich nur insofern gelingt, als man qualvoll lange, erzählerisch so ineffektive wie unökonomische Momente durchleidet.

Emotional verkümmert

Allzu trübselig und schwerfällig ist der Film ansonsten – geradezu militärisch respektvoll gegenüber seinem Thema und mit einer Inszenierung, in der sich das Angestaubt-Altmodische der Ausstattung spiegelt. Sogar den dramaturgischen Wendepunkt mit der zweiten wichtigen Begegnung in der Filmmitte bügelt Teplitzky glatt: als Lomax erfährt, dass einer seiner Peiniger noch auf freiem Fuss ist, und er sich entschliesst, die Konfrontation mit ihm zu suchen. Nicht einmal jetzt, wo die Frage nach Vergeltung oder Versöhnung endlich Schwung und Spannung bringen müsste, dringt der Film emotional durch, wiewohl sich Stars und Soundtrack nach Kräften mühen. So entgleist «The Railway Man» wohl nie, bleibt aber eines jener Prestigeprojekte, die zu schauen zur reinen Pflichtübung verkommt. Dass es auch anders ginge, zeigen derweil die Schlussminuten. Hier schafft der Film dann doch noch das, was er eigentlich schon die ganze Zeit wollte und sollte: zu berühren.