Haus der verhängnisvollen Träume

Der psychologische Thriller «House of Sand and Fog» des Regiedebütanten Vadim Perelman kommt zu spät in Schwung, wartet aber mit den Oscar-Preisträgern Ben Kingsley und Jennifer Connelly auf.

 

von Sandro Danilo Spadini

Nur ein wahrer Könner sollte einen Roman von über 500 Seiten schreiben, forderte Marcel Reich-Ranicki erhobenen Zeigefingers immer wieder. Kurz fassen sollten sich die Literaten dieser Welt, habe doch kaum einer von ihnen wirklich so viel Interessantes zu sagen. Langatmig oder aber überladen seien die meisten in epischer Breite geschilderten Geschichten. Wäre Reich-Ranicki Filmkritiker, würde er Ähnliches wohl jeweils bei Filmen mit über zwei Stunden Spielzeit vorbringen; denn gerade im Kino können zwei Stunden mitunter sehr lange dauern. «House of Sand and Fog» weist eine Länge von 126 Minuten auf, und leider erweist sich der aus der Ukraine stammende Regie-Neuling Vadim Perelman trotz guter Ansätze nicht als der Könner, der zu verhindern wüsste, dass sich immer öfter der Eindruck einstellt, als dehne sich die Zeit.

Zwei Vertriebene

Basierend auf dem gleichnamigen Beststeller von Andre Dubus, erzählt «House of Sand and Fog» die Geschichte zweier Vertriebener: Die von ihrem Ehemann sitzen gelassene Putzfrau Kathy (Jennifer Connelly, «A Beautiful Mind») muss wegen eines behördlichen Irrtums ihr schmuckes Haus am Meer räumen; verzweifelt kämpft sie um ihren rechtmässigen Besitz, der das Letzte ist, was ihr noch geblieben ist. Ihr nicht minder kampfeslustig gegenüber steht der neue Eigentümer, ein aus Iran geflüchteter ehemaliger Militär (Ben Kingsley, «Gandhi»).Gegen den Widerstand seiner Frau (Oscar-Nominierung für Shohreh Aghdashloo) hat dieser das Haus erworben, um es alsdann Gewinn bringend weiterzuverkaufen, auf dass er seiner Familie wieder den aus der Heimat gewohnten Lebensstandard bieten können möge. Als Kathys neuer Liebhaber Lester (hölzern: Ron Eldard) die Szenerie betritt, spitzt sich der Konflikt immer mehr zu und steuert unausweichlich auf die verhängnisvolle finale Konfrontation hin.

Spannung erst zum Schluss

Obwohl man sich gerade über Kingsleys Figur mehr Hintergrundinformationen wünschen würde, vermag das psychologische Profil der beiden Haupthandlungsträger nicht zuletzt dank der beiden Darsteller zu überzeugen; ihr Verhalten ist nachvollziehbar, Position für eine der beiden Seiten zu beziehen fällt schwer. Als unglücklich erweist sich jedoch, dass mit Lester – freilich eher halbherzig – noch eine dritte Figur ins Spiel gebracht wird, als fatal sogar, dass Perelman seine beiden Protagonisten in einzelnen Szenen gänzlich aus den Augen verliert. Nicht angefasst hat Perelman das heisse Eisen «Antiislamismus in den USA», auch nicht gerade allzu ausführlich thematisiert wird der kulturelle Gegensatz zwischen den beiden Parteien. Das ist wohl legitim, wenngleich ein wenig überraschend, hätten sich hier doch einige höchst reizvolle Ansätze geboten. Gegensätze und Inkongruenzen finden sich in «House of Shadow and Fog» indes genügend. So ist etwa die Bildsprache wenig stimmig, finden die wuchtigen, bisweilen vom Übermut des Jungregisseurs zeugenden Nachtaufnahmen und die betont schlichte Optik der Tagszenen insgesamt zu keinem harmonischen Ganzen. Ebenso versteht es der – allerdings sehr schöne – Oscar-nominierte Soundtrack von James Horner nicht, die Bilder in nützlicher Weise zu unterstützen: Gar bedeutungsschwanger zeigt er immer wieder Spannung und Dramatik an, wo man diese doch auf der Leinwand über weite Strecken vergeblich sucht. Nach viel versprechendem Beginn mit einigen sehr gut geschriebenen und vorgetragenen Dialogen vor allem zwischen Kingsley und Aghdashloo verzettelt sich die nicht sehr straffe Inszenierung stattdessen ein ums andere Mal, tändelt auf Nebenschauplätzen, verharrt im Vorhersehbaren und gewinnt erst zum Schluss an Fahrt. Wenn dann Ben Kingsley zu seinem grossen Auftritt ansetzt, der ihm zu Recht eine Oscar-Nominierung eingebracht hat, ist die Luft schon halbwegs raus; die packenden und jetzt auch glänzend inszenierten Szenen der letzten halben Stunde verpuffen so beinahe wirkungslos. Schade, dass das hier offenbar werdende Potenzial nicht schon früher genutzt oder aber die Arbeit im Schneideraum etwas rigoroser angepackt wurde. Denn diese zwei Stunden dauerten doch wieder einmal ziemlich lange. Aber andererseits hat Vadim Perelman ja wohl bestimmt noch nie etwas von Marcel Reich-Ranicki gehört.