Spielplatzgeflüster aus der Vorstadt

Wie der Vorgänger «In the Bedroom» zeichnet sich auch Todd Fields neuer Film «Little Children» durch emotionale Intensität,  präzise Milieubeobachtungen und hohe Schauspielkunst aus.

 

von Sandro Danilo Spadini

Die angenehmsten Zeitgenossen sind sie nicht, diese überfürsorglichen, kompetitiven Jungmütter, die sich zum täglichen Tratsch und gegenseitigen Kritisieren auf einem Spielplatz in einer dieser austauschbaren US-Vorstädte treffen. Biestige Hühner und Hyänen sind das, die von allen Normalität und Durchschnittlichkeit einfordern, von der um Himmels willen bloss niemand auch nur einen Millimeter abzuweichen hat. Die kürzlich dazugestossene Literaturkennerin Sarah (Kate Winslet) passt im Grunde denn auch gar nicht in diese Runde und ist entsprechend die argwöhnisch beäugte Aussenseiterin, die zum namenlosen Entsetzen der anderen schon mal den Morgenimbiss für ihr Töchterchen daheim vergisst. Übertroffen wird Sarah in ihrem Paradiesvogel-Dasein lediglich noch vom feschen Brad (Patrick Wilson). Er, der vermeintlich für sein Jurastudium büffelnde Hausmann, ist indes der unerreichbare, stets für sich und seinen Sohn bleibende Star des Spielplatzes, der «Prom King», wie ihn die geifernd spekulierenden Mütter nennen.

Gelangweilt und desillusioniert

Sarah und Brad sind beide verheiratet, nicht glücklich, nicht unglücklich. Sie mit einem sich gerne mal an (legaler) Internet-Pornografie delektierenden Bürohengst (Gregg Edelmann), er mit einer zackigen Dokumentarfilmerin (Jennifer Connelly). Ihr Leben plätschert vor sich hin, gleichmässig, eintönig. Es ist nicht das Leben, das sie sich erträumt haben, es ist das Leben, mit dem sie sich abgefunden haben. Auszuhalten ist es, ja, zu ertragen, klar, doch nicht einmal der gelegentliche Ehekrach bringt die dringend benötigte Würze rein. Wenn Sarah ihren Gatten etwa mit einem über den Kopf gezogenen und nicht ihr gehörenden Damenslip beim Onanieren vor dem Computer erwischt, entlockt ihr das nur noch ein Seufzen. Und wenn Brad auf dem Küchentisch die Kreditkarten-Abrechnung mit von seiner Frau angezeichneten «kritischen» Posten samt demütigend bürokratischem Post-it-Kommentar vorfindet, fügt er sich widerstandslos und kündigt seine Sportmagazin-Abos. Nein, glücklich sind die beiden nicht, eher gelangweilt und etwas desillusioniert.

Glasklarer Blick

Dass die schleichende Fadesse und das Für-selbstverständlich-Nehmen des Partners einen prima Nährboden für Ehebruch bilden, ist kein Geheimnis und bestätigt sich also auch in der präzisen Milieustudie «Little Children», dem auf einem Roman von Tom Perrotta («Election») basierenden neuen kleinen Wunderwerk von Todd Field. Wie schon in dem fünffach Oscar-nominierten Familiendrama «In the Bedroom» präsentiert uns Field nämlich auch hier eine vom richtigen Leben geschriebene Geschichte mit fassbaren Figuren an Stelle von holzschnittartigen Typen. Erneut darf er sich dafür auch bei einer spielfreudigen Besetzung bedanken – und umgekehrt sich diese bei ihm. So konnte sich die 31-jährige Kate Winslet unter Fields taktbewusster Führung ihre bereits fünfte Oscar-Nominierung erspielen, derweil Newcomer Patrick Wilson hiermit ein erstes dickes Ausrufezeichen zu setzen vermochte. In den Schatten gestellt werden die beiden «Leads» einzig vom einstigen Kinderstar Jackie Earle Haley, der als ein auf freien Fuss gesetzter und die Nachbarschaft in Aufruhr versetzender Pädophiler sein Oscar-nominiertes Comeback nach 13 Jahren Filmpause feiert. Das komplexe Schicksal seiner Figur ist denn auch das verstörendste und das am tiefsten unter die Haut gehende in einem in Ton und Tempo ruhigen, von kraftvollen Bildern eingerahmten und einfach ungemein intelligenten Film. Auf Zehenspitzen auf den Spuren von «American Beauty» oder den Filmen von Todd Solondz und Alexaner Payne wandelnd, wirft «Little Children» einen glasklaren und ganz nah ranzoomenden Blick auf die Sorgen der grossen Kinder und die ewigen Spannungsfelder zwischen Liebe und Gewohnheit, Selbstverwirklichung und Loyalität oder Sühne und Erlösung. Einer Wertung enthält sich Field dabei, Patentrezepte liefert er keine, er stellt einfach dar – dies aber mit höchstmöglichem, viel Sympathien für seine Figuren verratendem emotionalem Einfühlungsvermögen und mitunter auch einer Prise schwarzen Humors. Genau so müssen Filme dieser Art sein.