Dein Leben gehört mir

Regisseur D.J. Caruso schickt in seinem optisch gefälligen, inhaltlich aber allzu formelhaften, mit Überraschungen geizenden Thriller «Taking Lives» Angelina Jolie auf die Jagd nach einem Serienkiller.

 

von Sandro Danilo Spadini

Es müssen wohl die Lippen sein. Oder die Augen. Oder vielleicht doch die makellose Figur? Aber halt! Derlei auf ausschliesslich optische Reize beschränkte Schwärmereien verfehlen ihr Ziel dann doch. Denn: Den Oscar, mit dem sie 2000 für die Nebenrolle in «Girl, Interrupted» bedacht wurde, hat sie bestimmt nicht gestohlen. Was sie damals zeigte, zeugte sehr wohl von Talent. Und trotzdem stellt sich die Frage, weshalb diese Frau seit rund vier Jahren in aller Hollywood-Munde ist. Die Rede ist natürlich von Angelina Jolie – oder besser: vom Phänomen Angelina Jolie. Elf Filme hat die Schöne mit den vollen Lippen gedreht, seit sie 1999 mit der Golden-Globe-prämierten Hauptrolle im TV-Drama «Gia» erstmals Aufsehen erregte – ein richtig guter war freilich nicht dabei. Und trotzdem ist sie begehrt wie kaum eine andere. Nicht weniger als vier Grossproduktionen stehen in diesem Jahr für Jolie an: An der Seite von Jude Law wird sie in «Sky Captain and the World of Tommorow» zu sehen sein, mit Brad Pitt dreht sie die Thrillerkomödie «Mr. and Mrs. Smith», unter der Regie von Oliver Stone spielt sie im Epos «Alexander», und zu guter Letzt ist unter dem Titel «Love and Honor» auch noch ein Projekt geplant, in dem sie in die Rolle keiner Geringeren als Katharina der Grossen schlüpfen soll. Angesichts der unzähligen künstlerischen und fast so vielen finanziellen Reinfälle eine mehr als beachtliche und für den Filmolymp Hollywood, wo man in der Regel schon nach ein, zwei Box-Office-Flops als Kassengift verschien ist, doch recht erstaunliche Karriereentwicklung.

Agentin mit Herz

Das Filmjahr 2004 beginnt für Jolie – wenig verheissungsvoll – mit dem Thriller «Taking Lives», in welchem sie sich als arbeitsbesessene FBI-Agentin mit Hang zu unüblichen Arbeitsmethoden auf die Jagd nach einem Serienkiller begibt. Kraft ihrer überragenden Fähigkeiten als sogenannter Profiler dauert es nicht lange, bis sie dessen Taktik durchschaut hat: Der im schmucken Montreal sein Unwesen treibende Irre scheint eine Art Chamäleon zu sein, der jeweils die Identität seiner Opfer anzunehmen pflegt, was die Sache nicht eben einfacher macht. Gleichwohl wird die Spur allmählich heisser, bis sie schliesslich vergleichsweise zügig zum Ziel führt. Und weil «Taking Lives» ein durch und durch formelhafter Thriller ist, der nichts auslassen mag, darf auch die Liebe nicht zu kurz kommen. Ausgerechnet zum sympathischen Hauptzeugen (ein glänzend aufgelegter Ethan Hawke) fühlt sich die eigentlich so professionell agierende Agentin mehr und mehr hingezogen, was insofern nicht allzu gesund ist, als es der Killer just auch auf diesen abgesehen zu haben scheint.

Lauwarme Dutzendware

Eine Besetzung, die aus klangvollen Namen besteht, eine Story, aus der sich durchaus was machen liesse, und ein Regisseur, der sein Handwerk seriös erlernt hat: Die Grundvoraussetzungen für «Taking Lives» sind so schlecht nicht. Umso grösser ist die Ernüchterung nach den rund 100 Minuten, in denen sich die klischeetriefenden Figuren lethargisch durch ein sich clever gebendes, letztlich aber doch überaus vorhersehbares Drehbuch schleppen. Spannung und Nervenkitzel mögen ob all den sich wenig subtil anbahnenden Wendungen kaum aufkommen, was einen fatalerweise immer wieder Zeit lässt, über die logischen Löcher der Handlung zu sinnieren. Dass auf die pseudopointierte Auflösung – potz Blitz, ist das aber überraschend! – auch noch ein völlig unsinniges «Das Gute gewinnt»-Finale aufgepappt wird, setzt dem Ganzen schliesslich die Krone auf. Nichts als lauwarm ist das, was der ehemalige TV-Regisseur D. J. Caruso da mit seinem zweiten Spielfilm abliefert. Dabei hatte dieser vor rund zwei Jahren mit dem gar nicht mal so üblen Thrillerdrama «The Salton Sea», das es im deutschsprachigen Raum einigermassen überraschend nicht ins Kino schaffte, gewisse Hoffnungen geweckt. Formal ist ihm freilich auch bei «Taking Lives» nichts vorzuwerfen, wenngleich bisweilen etwas gar deutlich hervorsticht, dass er sich auch schon das eine oder andere Mal einen Genreklassiker wie «Seven» angeschaut hat. Ob Caruso fürderhin so viele Chancen zur Wiedergutmachung erhält wie Jolie, ist indes fraglich. Ist halt alles eine Frage der Lippen. Oder waren es jetzt doch die Augen?