Heile Welt, schreckliche Welt

Regisseur Todd Haynes entlarvt in seinem präzise inszenierten und bemerkenswert konsequenten Melodrama «Far from Heaven» die Bigotterie der amerikanischen Gesellschaft der 50er-Jahre.

 

von Sandro Danilo Spadini

Bereits der nicht nur wegen seiner musikalischen Untermalung anachronistisch anmutende Vorspann von «Far from Heaven» macht deutlich, wohin die Reise gehen wird. Noch nicht erahnen lässt sich freilich, auf welch brillante, intelligente und formal aussergewöhnliche Weise Regisseur Todd Haynes («Velvet Goldmine») seine Zeitreise ins Amerika der 50er-Jahre umgesetzt hat. Als eine Hommage an die Filme von Douglas Sirk («Imitation of Life») will Haynes sein neustes Werk verstanden wissen. Gelungen ist ihm ein äusserst bemerkenswerter, mutiger und konsequenter Film, der so aussieht und sich so anhört, als ob sich die Zeit seiner Entstehung mit der geschilderten Zeit deckt, der aber eine Geschichte erzählt, wie sie in der heilen Welt des Hollywood-Kinos der 50er-Jahre mit seinem immer wieder angestimmten Hohelied auf die gutbürgerliche amerikanische Gesellschaft höchstens angedeutet, jedoch niemals so erzählt worden wäre.

Homosexualität und Rassenkonflikt

Die brave und biedere Cathy (Oscar-Nominierung für Julianne Moore) lebt, wie weiland die putzige Doris Day dies in ihren Filmen zu tun pflegte, ein völlig ausgefülltes Leben mit perfekter Familie und perfekten Eigenheim in einer perfekten Wohngegend. Ihrem Ehemann Frank (Dennis Quaid) ist sie eine treue, unterwürfige und – jawohl – perfekte Ehefrau. Cathy ist so anständig, dass sie, wie die örtliche Journalistin leicht irritiert festhält, sogar «freundlich zu Negern» ist. «Far from Heaven» wäre jedoch tatsächlich ein Film aus den 50er-Jahren, wenn sich hinter dieser akkurat verputzten Fassade nicht auch Abgründe verbergen würden, die schliesslich urplötzlich in Form von Franks nie eingestandener Homosexualität zu Tage treten. Im Vertrauen auf eine Heilung von dieser «Krankheit» (O-Ton Frank) versucht Cathy ihren Traum von der Vorzeigefamilie nichtsdestotrotz aufrechtzuerhalten. Unterdessen schliesst sie Freundschaft mit dem dunkelhäutigen Gärtner Raymond (Dennis Haysbert), was in dem spiessigen Connecticut-Kaff für einen hysterischen Aufruhr sorgt und die heile Welt vollends aus den Fugen geraten lässt.

Formale Brillanz

Es ist vor allem der sich dem Rassenkonflikt widmende zweite Handlungsstrang, auf den Haynes sein Augenmerk richtet und zur Denkonstruktion des 50er-Jahre-Mythos und zur Entlarvung einer scheinheiligen, heuchlerischen und letztlich schrecklichen und grausamen Gesellschaft benutzt. Franks Homosexualität verbleibt derweil in der Obhut des Obskuren und dient in dramaturgischer Hinsicht mehr als Auslöser. Die Stärke von «Far from Heaven» besteht darin, dass Haynes den zeitgenössischen Blickwinkel des Publikums nicht teilt und frei von jeglicher Ironie und moralischer Überlegenheit seine Figuren ganz dem Zeitgeist entsprechend handeln und sprechen lässt. Konsequent und auf allen Ebenen den 50ern verpflichtet fühlt sich auch die ungeheuer präzise und stringente, hochgradig artifizielle und stilisierte formale Umsetzung: Mit grösster Hingabe und ebenso viel Geschick widmete sich Haynes der Farbkomposition seiner gemäldehaften Bilder, in welcher satte und warme Herbsttöne vorherrschen, unter die sich aber – gleichsam als Boten des Unheils – immer wieder kühle Blautöne und dunkle Schatten mischen. Und auch die bedächtige, geschmeidige Kameraführung, der schmachtende Score und die mit Liebe zum Detail ausgewählte Ausstattung atmen allesamt den Geist einer Zeit, die wohl doch nicht so idyllisch war, wie uns Doris Day immer glauben machen wollte, und in der für Aussenseiter wie Cathy, Frank oder Raymond der Himmel unerreichbar weit weg war.