von Sandro Danilo Spadini
Eine Woche bloss ist seit den Schüssen von Dallas vergangen, als der «Life»-Jounalist Theodore H. White der Witwe von John F. Kennedy am Sommersitz in Hyannis Port, Massachusetts, seine
Aufwartung macht. Am 22. November 1963 hatte die Nation ihren Präsidenten und damit, wie später jemand philosophieren wird in Pablo Larraíns «Jackie», ihren Vater verloren. Und jetzt will dieser
Journalist von der Landesmutter also «ihre eigene Fassung der Ereignisse» hören. Will wissen, wie die Kugel getönt habe, die ihrem Mann den Schädel aufriss. Und fordert sie nach zähem
Gesprächsbeginn auf: «Sie müssen etwas Persönliches erzählen!» Er tut das mit dieser Penetranz, weil er nach der Wahrheit suche. Doch die Wahrheit über Jacqueline Kennedy Bouvier zu finden, ihr
Wesen zu erfassen: Das ist ein wenig, wie ein Rätsel zu knacken – ein verschachteltes, doppelbödiges, zweideutiges, widersprüchliches und am Ende erstaunlich ambivalentes Enigma zu
dekodieren.
In neuer Rolle
Erstaunlich ist das deshalb, weil Jackie Kennedy im Januar 1961 nicht nur die jüngste First Lady war, die je ins Weisse Haus einzog; sie sollte auch die beliebteste und berühmteste der Geschichte
werden und dies bis heute bleiben. Der exquisite Stil, der mit ihr Einzug hielt am Präsidentensitz, hatte da sicher seinen Anteil; die Einrichtung des Weissen Hauses zeugt noch heute davon. Es
war dies ihr grosses (und für manche ein allzu kostspieliges) Projekt, wie uns Larraín in den Pseudodoku-Rückblenden zu ihren ersten First-Lady-Tagen zeigt (das Vermischen von Realem und
Fiktionalem ist die Lieblingsstrategie des Chilenen; siehe «No!» und «Neruda»). In diesen über den ganzen Film verstreuselten Schwarzweissaufnahmen einer Führung sehen wir eine Jackie Kennedy,
die noch reichlich unsicher, geradezu scheu wirkt; die noch nicht in ihrer Rolle angekommen ist; die schleppend spricht und so ein wenig wie ein Dummchen erscheint. Im Interview mit White (Billy
Crudup), wohin ebenfalls immer wieder zurückgekehrt wird, ist die Sprechweise zwar noch ähnlich; ansonsten aber ist alles anders: Distanziert ist die kettenrauchende Jackie hier («Ich rauche
nicht», zensiert sie herrisch). Arrogant bisweilen fast. Kalt. Hart. Und wütend. Nicht so sehr traurig. Sondern wütend. Darüber, dass man ihr und dem Lande diesen Jahrhundertmann genommen hat,
dem sie, die Geschichtsbewusste, eine ähnliche Heldenverehrung zuteilkommen lässt wie jene, die ihn nur von ferne oder von früher kennen. In ihrer ersten Reaktion auf den Schock freilich ist da
nochmals eine andere Jackie: eine stolz-störrische, wenn sie sich weigert, ihr blutverschmiertes Kleid zu wechseln, weil sie will, «dass die Welt sieht, was Dallas meinem Mann angetan hat»; eine
verzweifelnd-verdrängende, die in einem Fort plappert und noch im Taxi nach Hause mit Bobby (Peter Sarsgard) die Beerdigung plant; eine extrovertiert-exhibitionistische, die zwar sagt, sie
schätze ihre Privatsphäre, die aber «keine Angst vor Kameras» hat und ihre Kinder quasi ausstellt. Machtstreben und Eitelkeit: Sie sind in dieser dunkelsten aller Stunden also nicht versiegt. So
gereicht die Beerdigung mit der Prozession zum Arlington-Friedhof, über deren Ablauf endlos gestritten wird, denn auch zum Spektakel, wo die Reichen und Schönen sich inszenieren. Und es bleibt da
ein Geschmäckle hängen.
Portman in Perfektion
Es geht Larraín dabei indes keineswegs darum, eine Nationalheilige zu stutzen; sondern darum, in zugleich Hektik und Lähmung erzeugenden Szeneschnipseln ein vielschichtiges, verzwirbeltes Porträt
zu entwerfen, das dieser faszinierenden Figur gerecht wird. Und wiewohl er in seinem unverschämt gut ausschauenden Film all die ikonografischen Bilder dieser Tage auffährt – Jackie winkend im
rosa Deuxpièces mit Hütchen bei der Ankunft in Dallas, im offenen Wagen auf der Elm Street über ihrem niedergestreckten Mann, bei der Vereidigung von Lyndon B. Johnson in der Air Force neben JFKs
Sarg: Bei all diesem historischen Voyeurismus erinnert uns Larraín immer rechtzeitig daran, dass dies hier zuallererst eine Frau ist, die gerade ihren Ehemann verloren hat. Und zur Not rückt
Natalie Portman (Oscar-Nominierung) mit der herausragendsten Leistung ihrer Karriere die Dinge zurecht. Sie ist Jackie zwar nicht aus dem Gesicht geschnitten; doch es ist bei ihr jede von deren
vielen Facetten in Perfektion präsent. Und auch jene Erkenntnis, die sie am Ende des Tages wie eine Normalsterbliche verzagen lässt: dass sich die Welt einfach weiterdreht.