Was kostet die Wahrheit?

Der pathosaffine Thriller «Truth» huldigt dem Journalismus und ächtet die US-Medienhäuser, die vor Bush kuschten. Das ist spannend, aber nie so spektakulär wie die Besetzung: Cate Blanchett! Robert Redford!

 

von Sandro Danilo Spadini

Sie gewann zwei Emmys, deckte den Abu-Ghraib-Skandal auf und ging einst ins Gefängnis, um eine Quelle zu schützen. Er war der erste Journalist, der über Kennedys Ermordung informierte, wurde mit 33 Korrespondent am Weissen Haus, berichtete extensiv über den Vietnam-Krieg, deckte die Iran-Geiseln und die Sowjets in Afghanistan ab und moderiert seit 1981 auf CBS die News. Eine Koryphäe ist sie, Mary Mapes, damals 48 und Produzentin von «60 Minutes», dem «Goldstandard» des US-Fernsehjournalismus auf CBS. Eine Ikone ist er, Dan Rather, damals 73 und jedem erwachsenen Amerikaner so vertraut wie der eigene Grossvater. Oder vielleicht wie Robert Redford, dieser Ikone des grossen Screens, diesem Titanen des Kinos, der es sich nicht hat nehmen lassen, in James Vanderbilts «Truth» an der Seite von Cate Blanchett die Journalistenlegende zu geben.

Der Morgen danach

Cate Blanchett! Robert Redford! Muss man mehr sagen, um diesen Film zu preisen? Reichen die beste Schauspielerin ihrer Generation und der grösste lebende Filmstar der Welt nicht als Grund, sich sofort ins Kino zu stürzen? Eigentlich nein und sicherlich ja. Aber okay, etwas Ahnung von der Story mag nicht schaden, und es ist ja hier leider auch nicht alles lupenrein. Die Story also, sie ist eine wahre. Oder so wahr eine Story eben sein kann, die sich zwar grossspurig «Truth» (Wahrheit) nennt, wo es aber vor allem um Emotionen geht, nicht zuletzt politische, um nicht zu sagen: weltanschauliche. Es ist Frühjahr 2004; der Wahlkampf zwischen George W. Bush und John Kerry ist völlig offen, und das Bush-Lager basht gerade Kerry wegen dessen angeblich geschönter militärischer Meriten. Just da werden Mapes Unterlagen zugespielt, die insinuieren, dass es mit Bushs Kriegsheldentum noch weniger weit her ist: dass er nämlich Anfang der Siebziger dank manch gezogener texanischer Strippe eine Vorzugsbehandlung in der Army genoss und so letztlich um einen Einsatz in Vietnam herumkam. Da Mapes nun seit je den Machtmissbrauch und die darin geübten Bullys oder Tyrannen auf dem Kieker hat, beisst sie gleich an. Sie stellt ein Rechercheteam zusammen (Elizabeth Moss, Topher Grace, Dennis Quaid) und lässt drauflosrecherchieren. Unter leidigem Zeitdruck werden letzte Zweifel liquidiert, und der Scoop geht am 8. September 2004 über den Äther. Es folgt der Jubel über das investigative Insistieren – und am Morgen danach der knallharte Kater: Die Echtheit der Militärakten wird infrage gestellt, Bushs Bullys blasen zur Jagd, CBS bangt um die Reputation, der Mutterkonzern sorgt sich um die Lobbybemühungen für Deregulierung und Steuererleichterungen im republikanisch dominierten Kongress, es kommt zu einer Untersuchung, Mapes wird samt Team beurlaubt, Rather muss sich live entschuldigen, die Story geht unter, und Bush gewinnt die Wahl.

Und alles ist gut

Auf ganzer Linie verloren haben derweil Mapes und Rather: ihren Ruf, ihre Würde, ihren Job. Verloren aber hat auch der Journalismus per se, wie Regiedebütant Vanderbilt hochergriffen wieder und wieder predigen lässt, nachdem er seinen tonal etwas unebenen, aber trotzdem stets spannenden Film auf Ernst geschaltet hat: von der schlau-schnippischen Note, wie man sie aus Aaron-Sorkin-Werken bestens kennt, zu einer gereizt-aggressiven Empörung und von dort zu einem klagend-anklagenden Pathos. «Wenn man aufhört, Fragen zu stellen, fängt das amerikanische Volk an zu verlieren»: Solcherart sind die Voten, mit denen der erfahrene Schreiber Vanderbilt («Zodiac») Rather und Co. vor dem Zerfall des Journalismus und seiner Ehrenkodexe warnt. In der Sache hat er gewiss recht, aber man könnte das auch nüchterner kundtun – und ohne die daruntergelegten Geigen. Ebenfalls gerne verzichtet hätte man auf die häuslichen Szenen mit Mapes, die hier im Übrigen das unbestrittene Zentrum ist: weil sie es ist, die die Storys findet, die Sendung schreibt, schneidet und produziert, worum es in diesem die Prozeduren recht ernst nehmenden Film zu einem guten Teil ja geht. Und – einleuchtender gar noch – weil sie es ist, die das «Truth» zugrunde liegende Buch verfasst hat. Das erklärt auch eine gewisse Einseitigkeit, diese Parteilichkeit. Aber das nun stört weniger. Und wenn doch und gegen alle anderen Unbilden ist da immer noch Robert Redford. Ein warmer Blick, ein weises Wort von ihm, und alles ist gut.