Sie will Gerechtigkeit – aber subito!

Das Oscar-nominierte und Golden-Globe-prämierte Rachedrama «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri» ist eine Orgie der politischen Unkorrektheit, ein Fest der Schauspielkunst und ein Schmaus für Augen und Ohren.


von Sandro Danilo Spadini


Sieben Monate ist es her, dass ihre Tochter in Ebbing, Missouri, verschleppt, vergewaltigt und ermordet worden ist. Und was hat die Polizei in dieser putzig-gepützelten Kleinstadt im Mittleren Westen in der Zwischenzeit getan? Statt das Verbrechen aufzuklären, war sie damit beschäftigt, Schwarze zu drangsalieren, ist Mildred (Frances McDormand) überzeugt. Und weil sie allen Glauben verloren hat, dass sich daran noch was ändern könnte, und weil sie darüber und überhaupt wahnsinnig angepisst ist, greift sie jetzt zu rabiaten Mitteln. Für 5000 Dollar mietet sie sich drei grossformatige Werbetafeln am Stadtrand und lässt sie mit drei kurzen Sätzen bedrucken: «Im Sterben vergewaltigt»; «Noch immer keine Verhaftung»; «Wie das, Chief Willoughby?». So, nun hat Mildred die Aufmerksamkeit der oft nicht sehr hellen, dafür gerne benebelten Bewohner von Ebbing wieder, allen voran jene des angesprochenen Polizeichefs (Woody Harrelson). Der hätte, sterbenskrank, zwar gerade andere Sorgen. Aber wiewohl er findet, es stehe nun ein Krieg bevor, muss er zugeben: keine schlechte Idee, die Mildred da hatte. Und vielleicht sogar eine Chance für seinen beschränkten, bornierten, bigotten Deputy (Sam Rockwell), für einmal etwas richtig zu machen – beziehungsweise: das Richtige zu tun.

Menschlich, trotz allem

Es braucht schon eine ganz spezielle Prägung von Filmemacher, um ein derart ernstes Thema wie einen Sexualmord in eine Komödie zu packen und sich dabei nicht zum Affen (oder Schlimmerem) zu machen. Der britisch-irische Dramatiker und Regisseur Martin McDonagh scheint so ein Teufelskerl zu sein. In seinem Kinodrittling «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri» gelingt ihm dieser Hochseilspagat jedenfalls mit einer geradezu irren Souveränität und Lässigkeit. Dies sicher auch deshalb, weil das hier jener schroffe schwarze Humor ist, in den man sich flüchtet, wenn nichts sonst mehr hilft – etwas, worin es gerade die Katholiken und besonders die Iren zu trauriger Meisterschaft haben bringen müssen. Obwohl dieses sehr schön bebilderte Rache-und-Erlösung-Stück in einer uramerikanischen Provinzszenerie im Mittleren Westen angesiedelt ist und hellsichtig und scharfsinnig aktuelle Themen wie Polizeigewalt gegen Schwarze aufgreift, hat es denn auch einen europäischen Einschlag. Was einem hierzu spontan einfällt, ist dann aber nicht McDonaghs grandioses Debüt «In Bruges» (2008), sondern das eigen- und grossartige Priesterdrama «Calvary» (2014) seines Bruders John Michael. Auch da wurde im Angesicht namenlosen Leids rüde, rustikal und politisch hochgradig inkorrekt gescherzt, und auch da ging es neben dem Sterben vor allem um eines: um Schuld – jene der katholischen Sorte. Aber noch etwas eint diese Filme der McDonagh-Brüder, etwas Entscheidendes: Unter der nihilistischen Suada und dem brutalen Gemisch aus Gram und Gewalt schimmert stets eine gewisse Menschlichkeit durch, die mal ergreift, mal erschüttert und, wenn alles gesagt und getan ist, bei aller Marter auch ermutigt.

Gescheit besetzt

Trotz feinem Gespür, spitzer Feder und wachem Auge: Ohne die richtigen Darsteller hätte McDonagh diesen komplexen Mix kaum gepackt. Dass Frances McDormand und Woody Harrelson über den hierfür geeigneten herben Charme verfügen, ist nichts Neues: Bei McDormand hat sich der Hang zum Spröden seit dem Oscar für «Fargo» vor 20 Jahren stetig verfestigt und unlängst in der Miniserie «Olive Kitteridge» gegipfelt, während Harrelson zum Garanten für schnoddrige Galavorstellungen avanciert ist – in «True Detective», «Tripple 9» und «The Edge of Seventeen» etwa. Und dass die beiden ein sensationelles Duo abgeben, das erstaunt auch nicht. Die Offenbarung hier ist vielmehr Sam Rockwell als rassistischer Schwächling, der bei der Mama wohnt und in der Bar daheim ist. In seiner Figur und deren Entwicklung, vor allem aber darin, wie wir auf sie reagieren, spiegeln sich die ganzen Widersprüche des Films und all die torpedierten Erwartungen. Angetan davon war nebst der Academy (sieben Oscar-Nominierungen) auch die Hollywood-Auslandpresse: Für Rockwell und McDormand gab es von ihr ebenso einen Golden Globe wie für das Skript; und den Film, der zum Ende hin Gags und Tempo drosselt und ein Neowestern-Terrain à la «No Country for Old Men» ansteuert, prämierte sie gar mit ihrem wichtigsten Preis: jenem in der Kategorie Bestes Drama – und nicht etwa in der Schwestersparte Beste Komödie. Freilich: Sinn gemacht hätte dies geradeso sehr. Und das sagt eigentlich alles über diesen Geniestreich.