Fräulein, zum Diktat bitte...!

Mit Steven Shainbergs Independentproduktion «Secretary» läuft einer der ungewöhnlichsten, innovativsten und gelungensten US-Filme des vorletzten Jahres endlich auch in den hiesigen Kinos.

 

von Sandro Danilo Spadini

Schon ganz am Anfang beschleicht Mr. Grey die Ahnung, dass diese Lee anders ist als seine früheren Sekretärinnen. Mr. Grey ist Rechtsanwalt und äusserlich ein ganz unscheinbarer Typ. Dass er indes ein wenig anders tickt als die meisten Menschen, davon zeugt nicht nur die extravagante Inneneinrichtung seines Büros, sondern auch sein absurde Dimensionen annehmender Verschleiss an Sekretärinnen. Mr. Grey ist also ein bisschen komisch, aber eigentlich ist Mr. Grey ja nur die zweitwichtigste Figur dieser Geschichte; über ihn werden wir im weiteren Verlauf zwar einiges, aber nicht ganz so viel wie über Lee erfahren. Diese steht denn auch am Anfang der Geschichte. Lee liebt den Schmerz. Weil sie dazu neigt, sich vorsätzlich selbst zu verletzen, hat sie einige Zeit in einer Anstalt verbracht. Der Job in Mr. Greys Kanzlei ist für sie ein Neuanfang. Doch anstatt von ihren als abnorm gebrandmarkten Neigungen loszukommen, trifft sie hier auf ihr zum amourösen und sexuellen Glück bisher fehlendes Gegenstück. Mr. Grey ist Sado. Lee ist Maso. Und zusammen erfahren sie endlich jene Wonnen, die ihnen lange verwehrt geblieben sind. Doch ganz so einfach ist das Ganze dann auch wieder nicht.   

Intelligent und witzig

Sadomasochismus ist ein Thema, das im Kino nur am äussersten Rande beleuchtet wird – entweder als Gegenstand grobschlächtiger humoristischer Eskapaden unter der Gürtellinie oder aber als in Lack und Leder verpackte plakative Provokation in der Schmuddelecke. Regisseur Steven Shainberg hat nun mit «Secretary» einen ernsthaften und intelligenten, vergleichsweise freizügigen und bisweilen erotischen, witzigen wie unterhaltenden Film über Sadomasochismus gedreht und damit eine Gratwanderung  gemeistert, auf welcher jederzeit der Absturz ins allzu Derbe oder allzu Lächerliche gedroht hat. Nichtsdestotrotz hat sein mit kleinem Geld produziertes Meisterstück einige Kontroversen ausgelöst. Kein Wunder, denn hier wird S/M nicht als etwas Schlechtes, Böses, Abartiges gezeigt, sondern bloss eine Liebesgeschichte zweier Menschen erzählt, die es halt lieber auf die etwas andere Art haben. Keine Spur von erhobenem Zeigefinger, keine kritische Distanz zu den Figuren, kein gönnerisches Mitleid, kein ironisches Augenzwinkern, sondern schlicht eine berührende, ehrliche und in ihrer ganz eigenen Art überaus romantische Liebesgeschichte.

Ungewöhnlich und innovativ

Eine mutige Leistung als Lee zeigt Shootingstar Maggie Gyllenhaal («Mona Lisa Smile»). Völlig zu Recht wurde die 26-Jährige für ihren höchst beeindruckenden Parforceritt im letzten Jahr für den Golden Globe nominiert, völlig zu Unrecht hat sie selbigen letztlich nicht erhalten. Selten so gut gesehen hat man auch Gyllenhaals Gegenüber James Spader, der bereits mit seinen Rollen in Steven Soderberghs «Sex, Lies and Videotape» und David Cronenbergs «Crash» aktenkundig geworden ist als Mann, dessen sexuelle Vorlieben man zumindest als exotisch bezeichnen könnte. Zum weiteren Personal gehört schliesslich – als Lees liegen gelassener Liebhaber – der ewige Zappelphilipp Jeremy Davies («Solaris»), den man in einem Film dieser Art zwar erwartet anzutreffen, aber eigentlich nicht unbedingt antreffen will, zumal seine unabhängig jeglicher äusseren Einflüsse immer gleiche Rumfuchtelei allmählich nervt. Davies’ unerwünschte Präsenz bleibt aber das einzige Haar in Shainbergs liebevoll zubereiteter Suppe. Der Weg in die hiesigen Lichtspielhäuser mag wohl ein beschwerlicher gewesen sein, doch bleibt diesem kleinen cineastischen Juwel, das bereits im Januar 2002 am Sundance Filmfestival mit dem Spezialpreis der Jury für Originalität ausgezeichnet wurde, das Schicksal von so vielen anderen brillanten amerikanischen Independentproduktionen erspart, die nie das Licht europäischer Kinosäle erblicken. «Secretary» gehört zu den ausser- wie ungewöhnlichsten, innovativsten und gelungensten Produktionen der letzten Jahre und bietet überdies eine seriöse Auseinandersetzung mit einem Thema, das von Klischees beherrscht wird. Und dass Mr. Grey und seine Lee am Schluss in der für sie perfekten Harmonie vereint sind, ist eines der schönsten Happy Ends, die man sich vorstellen kann.