von Sandro Danilo Spadini
Ob sie wirklich so sind und so aussehen, darüber kann man nur spekulieren. Denn trotz all ihrer Macht bleiben sie meist im Schatten, im Dunkel, im Nebel, und auch Hollywood mochte unsere
Vorstellungskraft bislang nicht beflügeln, scherte es sich doch kaum um sie. Aber wenn man sich jetzt trotzdem einmal ausmalt, wie so eine Lobbyistin in Washington sein und aussehen mag, dann
wird das Bild ziemlich sicher dem von Jessica Chastain in «Miss Sloane» ähneln: Den schlanken Body in strenge Businessanzüge gepresst, die Haare züchtig festgezurrt und die Lippen mit
angriffigem Blutrot bemalt, marschiert sie auf spitzen Hacken und mit scharf schneidendem Maschinengewehr-Mundwerk Befehle bellend durch die Korridore der Macht. Schnurstraks zur nächsten
Teamberatung. Zum Kundenmeeting. Oder, wie zu Beginn von John Maddens Politthriller, zu einer Anhörung vor dem US-Senat. «Sie wollen dich hinter Gittern haben», hat der Firmenanwalt (David Wilson
Barnes) eben noch angemahnt; sie solle die Aussage verweigern. Doch dann, nach diszipliniertem Start, bröckelt auf einmal ihre Fassade, die so hart und kalt und ausdruckslos ist wie jene der
Lobbyfirmen an der Washingtoner K Street, und Miss Elizabeth Sloane verliert die Fassung. «Willkommen zur Party», meint der vorsitzende Senator (John Lithgow) süffisant. Das Spiel kann
beginnen.
Personifizierung eines Eiswürfels
Wobei: Begonnen hat das Spiel schon drei Monate zuvor. Nicht als Wrestling im politischen Schlamm freilich, wie hier vor dem Senat. Sondern als eine Schachpartie, die jetzt Zug um Zug nochmals
von vorn aufbereitet wird. Ein Affront und ein Eklat markieren die Eröffnung, wenn Elizabeth einem von ihrer Firma umgarnten Waffenproduzenten ins Gesicht lacht wegen seines abstrusen
Strategievorschlags zur Bekämpfung eines neuen Waffengesetzes und sie sodann von ihrem Boss (Sam Waterston) plattgemacht wird. Wider Erwarten scheint Elizabeth, diese Spezialistin für Steuern und
«alberne Regierungsinterventionen in den freien Markt», aber so etwas wie Überzeugungen zu haben; und das hat auch die Konkurrenz vernommen, deren Chef (Mark Strong) ihr flugs einen Job und den
Lead auf der anderen Seite im Waffen-Lobbykampf offeriert. Gegen die mächtigste Interessengruppe Washingtons anzutreten, ist natürlich genau die Art Herausforderung, nach der jemand vom Kaliber
einer Elizabeth Sloane lechzt. Und was diese «Personifizierung eines Eiswürfels» dabei anstrebt, ist auch klar: gewinnen. Um jeden Preis. Nicht aus moralischen Gründen oder weil es das Beste für
das Land wäre. Auch nicht für Geld oder Ruhm oder die Karriere. Sondern für sich. Fürs Ego. Sie interessiere nur der Zweck; «über die Mittel könnt ihr liberalen Gutmenschen nachdenken.» Dass sie
trotz der Übermacht des Gegners zu Potte kommen könnte, steht ausser Frage. Miss Sloane, diese berechnende, rücksichtlose, pragmatische Strippenzieherin, hat nämlich ein dickes Fell mit ganz
vielen Stoppeln und Stacheln drauf; unter all den Ratten ist sie die Kobra, die diese verschlingt. Und so etwas wie ein Privatleben, das sie ablenken könnte, hat sie abseits der Verrichtungen mit
einem kecken Callboy (Jake Lacy) auch nicht.
Blitzgescheites Donnergrollen
Miss Sloane also ist ein Monster. Der Mastermind unter all den Intelligenzbestien und Arroganzbrocken, die diese schnelle und zackige, smarte und zynische Szenerie bevölkern. Ausgedacht hat sich
dies Debütautor Jonathan Perera, und im Kopf hatte er dabei fast zwangsläufig zwar auch die Machenschaften eines Frank Underwood in «House of Cards», mehr aber noch zum Glück das blitzgescheite
Donnergrollen aus Aaron Sorkins «The West Wing». In einer Zeit, da die Realität die Fiktion überrollt hat und selbst einer wie Underwood möglich zu beginnen wirkt, haben Schauergeschichten über
die moralische Verrohung in Washington ihren Schrecken eben eingebüsst; fesselnder ist es da, was hinter den Manövern und Mechanismen der Macht steckt. Ebendies erarbeitet Perera im
dialogschweren Skript en détail, dessen mit Twists und Volten gespicktem Plot Regisseur Madden («Shakespeare in Love») eine bündig getaktete, luftdichte Inszenierung angedeihen lässt: Während Max
Richters ominöse Musik klickt und klackt und tickt und tockt, weht durchs sterile Ambiente dieser Hauch von abgeklärter Aufgeräumtheit, die so typisch ist für Washington wie die verschwörerischen
Treffen in Hinterzimmern und, klar, Tiefgaragen. Und bei alldem zeigt die überragende Jessica Chastain, dass auch ein Eiswürfel eine Menge Facetten haben kann.