von Sandro Danilo Spadini
Es ist das Jahr 1956; die Angst vor kommunistischer Unterwanderung ist auch in der Schweiz allgegenwärtig; die Regierung arbeitet im Geheimen an einem Atombombenprogramm; der Staatsschutz
überwacht 10 Prozent der eigenen Bevölkerung. Hochbetrieb also für Urs Rappold (Klaus Maria Brandauer), Spezialagent der Abteilung III für Spionage und Abwehr bei der Bundespolizei. Rappold ist
eine Legende, gilt als «der mit dem untrüglichen Instinkt». Im Verhör wird der an den Rollstuhl gefesselte Agent zum agilen Jäger – in seinen 30 Amtsjahren hat er noch jeden Fall aufgeklärt.
Seine neuste Beute ist der Starjournalist Werner Eiselin (Markus Merz). An Heiligabend überführt er den Reporter von Radio Beromünster der Spionage: Eiselin soll Geheimdokumente zum Schweizer
Atomprogramm den Russen zugespielt haben. Die Schweiz hat ihren Schurken, seine Strafe wird harsch sein. Damit kommt Eiselin nicht klar: Die Haft vor Augen und die – nur von Rappold kolportierte
– Abwendung seiner Frau im Kopf, erschiesst er sich noch im Verhörraum. Und lässt einen zusehends an sich zweifelnden Spezialagenten zurück.
Verbales Feuerwerk
Es lohnt sich, beim Prolog zum Polit-Thriller «Manipulation» aufzupassen. Denn schon hier hat der eigentliche Gegenspieler Rappolds einen ersten Kurzauftritt. Der PR-Berater Harry
Wind (Sebastian Koch), Major im Militär und Sekretär der Schweizer Wehrgesellschaft, ist es, der der Anti-Spionage-Abteilung die Eiselin belastenden Dokumente zuspielt – Material, «das mein Leben
für immer verändern sollte», wie der wackere Rapold aus dem Off orakelt. Und Wind wird es sein, der ein Jahr später in derselben Angelegenheit verhaftet wird und sodann dem alten Verhörfuchs
trotz erdrückender Beweislast den Meister zeigen wird. «Ich habe Zeit», gibt Rappold seinem tändelnden Gegner zwar sogleich zu verstehen. Doch der hat eine unerhörte Selbstsicherheit und – zu
Recht – ein Urvertrauen in sein Manipulationsgeschick. Ein Katz-und-Maus-Spiel kann beginnen – ein stationäres freilich, spielt sich dieser verbale Schlagabtausch auf höchstem rhetorischem und
oft philosophischem Niveau doch fast ausschliesslich in den muffigen Innenräumen der Bundespolizei-Aussenstelle in Zürich ab; lediglich in Rückblenden und einigen Szenenfetzen lässt uns der
Freiburger Regisseur Pascal Verdosci bei seinem Kinodebüt frische Luft schnuppern. Die logische Folge dieses Set-Minimalismus ist eine klaustrophobische Dichte, die von der farblichen
Beschränkung auf Braun- und Grautöne noch verstärkt wird.
Was ist Wahrheit?
Geschrieben hat dieses Kammerspiel um zwei grosse Ungeheuerlichkeiten der eidgenössischen Politik der 1979 verstorbene Zürcher Autor Walter Matthias Diggelmann. Fast 40 Jahre nach dem Erscheinen
und hitzigen Debattieren von «Das Verhör des Harry Wind» werden Schweizer Staatsüberwachung und Atomprogramm nun erstmals im Kino aufgearbeitet. Das ist höchste Zeit, doch erhellender noch und
durchaus von aktuellem Belang ist der Einblick in die Mechanismen der Polit-Werbung. Angst ist ein schlechter Ratgeber, und gerade darauf setzen diejenigen Polit- und Werbe-Akteure, die diese
Angst schüren: Das ist die zwar nicht neue, aber unvermindert wichtige Lektion aus «Manipulation». «Wahrheit ergibt sich aus Geschichten», sagt Wind einmal, und was Diggelmanns Geschichte um
Wahrheit und Glaubwürdigkeit so nervenzerfetzend packend macht, ist: Man weiss nie, woran man ist und wo man stehen soll. Auf der Seite des von Rappold verkörperten Spitzelstaates, der hier im
Recht sein könnte? Oder auf der Seite des Spions, der vielleicht gar keiner ist? Dass darüber und über die anderen inneren Schweizer Angelegenheiten Nicht-Einheimische in schriftdeutschem Idiom
verhandeln, stellt wohl fraglos ein gewisses Grundärgernis dar. Dass die beiden Protagonisten vom österreichischen Jahrhundertschauspieler Klaus Maria Brandauer und dem charismatischen «Das Leben
der Anderen»-Star Sebastian Koch verkörpert werden, ist hingegen nichts weniger als ein cineastischer Coup: Was Brandauer und Koch ihren ohnehin schon hochinteressanten Figuren abgewinnen, lässt
kaum Zeit zum Atmen, geschweige denn zum Mäkeln.