Schräg, schräger, Coen

Die «Odyssee» von Homer musste als Vorlage für den neusten Streich des derzeit kreativsten Bruderpaars des Filmbusiness herhalten. Herausgekommen ist ein wunderbar schräger Film in guter, alter Coen-Tradition.

 

von Sandro Danilo Spadini

Das filmische Universum der Gebrüder Joel (Regie/Drehbuch) und Ethan (Produktion/Drehbuch) Coen ist ein ganz wunderliches. Zwar mögen ihre Filme der formalen Brillanz eines David Lynchs oder der Coolness eines Quentin Tarantinos nicht ganz Stand halten, doch verfügen die Coens über etwas, das im heutigen Filmschaffen ganz selten geworden ist: eine eigene Handschrift. Ähnlich wie die beiden vorher genannten Genies beherrscht es das Bruderpaar aus Minneapolis, in seinen Filmen Orte zu kreieren, die immun zu sein scheinen gegen Begriffe wie Zeit und Raum.

Der Coen-Look

Staubig und von Gelb- und Brauntönen beherrscht ist die Gegend am Mississippi, die als Schauplatz für diese Odyssee dreier entlaufener Sträflinge dient. Wie schon in ihren früheren Filmen wie etwa «The Hudsucker Proxy» haben die Coens grössten Wert darauf gelegt, einen eigenständigen Look zu schaffen. Mittels digitaler Technik liessen sie die Farbe Grün samt und sonders aus dem Filmmaterial eliminieren, um so die Kohärenz ihrer Bilder zu verstärken. Das Ergebnis ist einmal mehr verblüffend und das «Coen-Country» wieder um einen Staat reicher. Selbstverständlich hat dieser Ort ebenso wie die Geschichte – typisch Coen- rein gar nichts mit der Realität zu tun. Die Coens sind das erklärte Feindbild aller Neorealisten. Wie Comics mit lebenden Menschen wirken ihre Filme. Traumsequenzen, ein völlig skurriler Gebrauch der Sprache oder das Ignorieren aller narrativen Gepflogenheiten – den Coens ist nichts heilig. Von der Kritik wird ihnen zudem Seelenlosigkeit und eine gewisse Kälte gegenüber ihren Protagonisten vorgeworfen. Die Coens scheint es nicht zu stören. Warum auch? Wurden doch sowohl «Barton Fink» als auch «Fargo» auf den Filmfestspielen in Cannes mit einer Goldenen Palme prämiert. Und «The Big Lebowsky» schliesslich ist der Kultfilm schlechthin der letzten Jahre.

Auf Homers Spuren

In «O Brother, Where Art Thou?» haben sich die Coens nun die Odyssee von Homer vorgenommen. Zwar sind die Hexameterverse durch Country- und Bluegrass-Songs ersetzt worden, doch tauchen immerhin einige Bekannte aus dem etwa 2'700 Jahre alten Werk auf. So begegnen die dusseligen Knastbrüder auf ihrer Flucht sowohl den Siren als auch dem einäugigen Zyklop – wenn auch in Form eines Bibelverkäufers mit Augenklappe in Person von John Goodman. Bei der Besetzung bleiben die Coens ihrem Motto treu und setzten sowohl auf altbekannte (John Turturro, Holly Hunter) als auch auf neue Gesichter. Besonders Hauptdarsteller George Clooney offenbart als eitler, eloquenter Geck ungeahntes komödiantisches Talent. Trotzdem kommt «O Brother, Where Art Thou?» nicht ganz an die brillanten Vorgänger heran, was andererseits nichts daran ändert, dass es wie immer ein ganz besonderes Vergnügen ist, in die seltsame Welt der Coen-Brüder zu reisen.