Und ewig lockt die Dolce Vita

Woody Allen macht halt in Rom. Wobei in «To Rome with Love» kaum je etwas stillsteht und alles ein bisschen chaotisch ist. Das freilich ist durchaus gewollt und gut so.

 

von Sandro Danilo Spadini

Andere Amerikaner in seinem Alter setzen sich zur Ruhe und ziehen nach Florida. Woody Allen jedoch setzt für sich noch neue Massstäbe und zieht durch die Alte Welt. Aktuelle Station seiner Europatournee ist nach London, Barcelona und Paris nun Rom. Und hier geht die Post nochmals mächtig ab. Denn in «To Rome with Love» treffen wir: einen treuherzigen Bestatter (Fabio Armiliato), der leider nur unter der Dusche das Zeug zum neuen Caruso hat; eine rassige Prostituierte (Penélope Cruz), die eine brave italienische Ehefrau mimen muss; ebendiese brave italienische Ehefrau (Alessandra Mastronardi), die während der verzweifelten Suche nach ihrem Hotel auf ein Filmteam trifft; einen schwatzhaften einfachen Angestellten (Roberto Begnini), der ohne jeden Grund zum allseits vergötterten Medienstar avanciert; eine filigrane Nymphomanin (Ellen Page), die ihre Liebespfeile in Intellektuellengeblubber tunkt; einen melancholischen Stararchitekten (Alec Baldwin), der als imaginärer Freund einen angehenden Berufsgenossen (Jesse Eisenberg) in amourösen Dingen berät; einen pensionierten Opernregisseur (Woody Allen), der einst «Tosca» in einer Telefonzelle inszenierte und nun dem gehemmten Bestatter eine Duschkabine auf die Bühne stellt. Und praktisch all diese Figuren haben es faustdick hinter den Ohren. So knutscht die brave Ehefrau mit einem verheirateten Filmstar (Antonio Albanese), während sich ihr Gatte (Alessandro Tiberi) mit der Prostituierten in die Büsche schlägt; der angehende Architekt lässt sich im Auto von der Nymphomanin überwältigen, der besten Freundin seiner eigentlich Angebeteten (Greta Gerwig); und dem einfachen Angestellten werfen sich die Traumfrauen nur so um den Hals, wogegen er sich kaum wehren mag.  

Ein gespiegeltes Chaos

Das ist ja allerhand, was sich Allen hier zumutet. Und diesen Wust an Geschichten und Verstrickungen, diesen römischen Reigen zu orchestrieren, erweist sich denn auch als Herkulesaufgabe für den hühnerbrüstigen 76-Jährigen. Souverän meistert er sie nicht gerade – wenigstens nicht im klassischen Sinn. Vielmehr leistet sich Allen mit der Lässigkeit des Alters manche Schlampigkeit und hat das Spiel des illustren Ensembles bisweilen die Qualität eines Bauernschwanks; ja einige Szenen wirken wie live, quasi wie der erste Versuch (was sie angesichts von Allens legendärer Pragmatik mitunter durchaus sein dürften). Dass auch Allens Figur des Opernregisseurs die Dinge öfters nicht so im Griff hatte, ist da eine nette Koinzidenz – die freilich eher nicht gewollt ist. Sehr wohl gewollt mag hingegen das Chaos sein, das der Maestro mit seinen sich nicht tangierenden und in verschiedenen Zeitrahmen spielenden Anekdoten anrichtet. In einem kühnen Moment könnte man sich sogar zur Behauptung versteigen, dass die grösste Schwäche des Films auch seine grösste Stärke sei. Denn mit diesem Chaos spiegelt Allen doch die italienische Hektik und vermittelt so trotz Sightseeing-Exzessen ein recht treffliches Gefühl von der Fellini-Stadt. Nichts steht hier still, alles ist in Aufruhr – und alle sind nervös und fuchteln und wedeln und schreien und singen.

Genug Geistreiches

Klischee um Klischee verbrät Allen also abermals. Doch weil er das augenzwinkernd aus der Warte des ignoranten amerikanischen Touristen tut und weil er es bis ins Absurde steigert, hat es wieder was Originelles. Und sowieso: Einem Woody Allen verzeiht man ja alles. Auch die schonungslos onkelhaften Scherzchen, die gerade seine eigene Figur gerne zum Besten gibt – schliesslich ist das der Lieblingsonkel, der hier kalauert. Und unter all den geistreichen Bemerkungen und surrealen Albernheiten, die «To Rome with Love» sonst noch bietet, fallen die paar faulen Sprüche gar nicht gross auf. Was hingegen sehr wohl auffällt: Hier wird zu einem Gutteil Italienisch gesprochen, was trotz des Schauplatzes für einen US-Streifen keine Selbstverständlichkeit ist und dem auch darüber hinaus sehr «italienischen» Film hoch anzurechnen sei. Und eine schöne Erkenntnis lässt sich auch noch aus Allens Neustem ziehen: Ornella Muti, die in der Filmmitte mal kurz vorbeischaut, ist mit ihren 57 Jahren so sagenhaft attraktiv wie eh und je.