Und am Ende war alles wieder für die Katz

Ein Lied voll Leid: Die abermals faszinierende Hölle, durch die die Coen-Brüder auch ihren neusten Helden schicken, ist in «Inside Llewyn Davis» die New Yorker Folkmusik-Szene im Jahr 1961.

 

von Sandro Danilo Spadini

Am Anfang erhält Llewyn Davis (Oscar Isaac) immerhin Applaus, nachdem er sein erstes Lied zu Ende gesungen hat. Gleich darauf aber gibt es schon ein erstes Mal Saures, wenn Llewyn draussen von einem Unbekannten angepöbelt und vermöbelt wird. Es ist das quasi eine programmatische Attacke – im gemütlichen Takt eines Folksongs folgt nun Tiefschlag auf Tiefschlag. Darüber freilich wird sich niemand wundern. Weder Llewyn, der dem chronischen Missmut nach zu urteilen schon einiges durchlitten hat in seinem jungen Leben. Noch uns, die wir wissen, dass es die sadistischen Brüder Joel und Ethan Coen sind, die diesen «idiotischen Bruder von König Midas» durch die New Yorker Folkszene des Jahres 1961 geleiten. So unvermittelt der initiale Angriff auch gekommen sein mag, so vertraut ist denn auch das damit angestimmte Lied voll Leid. Von der Tollpatschigkeit in Dur bis zur Demütigung in Moll reicht dies. Und natürlich ist das meist komisch. Etwa wenn dem wirren Wuschelkopf nach der Übernachtung bei Freunden am Morgen deren liebliche rote Katze entwischt: Das ist nun Slapstick pur, wie er das Tier zwar wieder einfängt, hinter ihm aber die Tür ins Schloss fällt – und wie er dann mit dem Kater per U-Bahn von der Upper West Side quer durch Manhattan bis ins Village fährt. Dort, selbstverständlich, wartet schon der nächste Ablöscher: Nicht nur ist die für die Nacht anvisierte Couch schon vergeben; nein, da eröffnet ihm die Frau (Carey Mulligan) seines Musikerkumpels (Justin Timberlake) auch noch keifend, dass er sie wohl geschwängert hat.

Die Coens: Überall daheim

Auch wenn sich die Welt und die Coens gegen diesen Llewyn Davis verschwört haben: Wer sich so fahrlässig aufführt, hat sich manche Unbill sicher auch verdient. Und damit unterscheidet sich «Inside Llewyn Davis», die neuste Schöpfung der Brüder aus Minneapolis, recht beträchtlich etwa vom braven Lehrer in «A Serious Man», dem wohl ärmsten aller Coen-Helden. Dessen Hölle lag wie diese hier und so viele zuvor ebenfalls in einer vergangenen Welt: den Suburbs im Mittleren Westen der 1960er. Das war zwar etwas völlig anderes und den ebenda aufgewachsenen Coens umso vertrauter als nun das Künstlerviertel Greenwich Village anno 1961; oder das Arkansas der 1880er in «True Grit»; das Mississippi der 1930er in «O Brother, Where Art Thou»; das New York der 1940er in «Barton Fink». Doch wie stets scheinen die Coens auch diesmal wieder ganz daheim. Mit dem Elan und der Fantasie von Frischlingen erschaffen sie abermals ihre eigene Welt mit dieser Szene voll unentdeckter Talente und affektierter Versager, die noch der erlösenden Ankunft Bob Dylans harrt – einen Coen-Kosmos, der bevölkert ist von heroinsüchtigen Jazzern (John Goodman), coolen Beatniks (Garett Hedlund), weisen Produzenten (F. Murray Abraham) und den sonstigen schrägen Vögeln. Und nicht zuletzt dem besagten roten Kater namens Odysseus. Ihn lassen die Coens deshalb immer wieder auftauchen, weil es keinen eigentlichen Plot gibt, wie sie einmal halb im Scherz meinten. Womit sie sicher halb recht haben.

Von Couch zu Couch

Es sind nämlich mehr Episoden, die diese Geschichte eines klirrend kalten New Yorker Winters ausmachen. Und nicht nur deshalb ist das so etwas wie ein Roadmovie. Vielmehr reist der heimatlose Held tatsächlich auch etwas herum auf seiner steten Suche nach der nächsten Übernachtungsmöglichkeit. Und einmal verlässt er New York sogar und reist nach Chicago, wo er nach dem einst von der George-Washington-Brücke gesprungenen Gesangspartner auch den Traum vom Plattenstar beerdigen muss. Dabei vermag seine Musik durchaus zu berühren. So wie jene des vergessenen Folkpioniers Dave Van Ronk, auf dessen Memoiren die Story lose basiert. Arrangiert von T Bone Burnett und Marcus Mumford, werden die auch von ihm interpretierten klassischen Folksongs hier nebst Neuerem jeweils in voller Länge von den Mimen höchstselbst dargeboten. Gerade Hauptdarsteller Oscar Isaac dürfte damit bei der musikaffinen Academy punkten. Zumal er auch sonst die nötige Präsenz hat für das Porträt dieses im Hamsterrad gefangenen Künstlers, der noch an den simpelsten Dingen des Lebens scheitert. Und dem die Coens am Ende mit einer bösen Überraschung endgültig klarmachen, dass das alles für die Katz war.