von Sandro Danilo Spadini
Fast zwölf Jahre sind seit «Titanic» vergangen, und in der Zwischenzeit hat sich im Leben der damaligen Darstellerstars naturgemäss manches getan. So haben beide nach ihrem Fabelerfolg bei ihrer
Rollenwahl stets wohlüberlegt, wiewohl bisweilen durchaus kühn gehandelt und sich nicht lange mit dem hoch zu See erworbenen Teenieschwarm-Image aufgehalten. Vielmehr machten sie sich bald einmal
daran, sich auch im seriösen Fach zu etablieren. Und derweil Leonardo DiCaprio mittlerweile zum Lieblingsschauspieler des grossen Martin Scorsese avanciert ist, hat Kate Winslet keine halben
Sachen gemacht und mit «American Beauty»-Regisseur Sam Mendes einen der versiertesten Filmemacher seiner Generation gleich geehelicht. An Mendes ist es nun auch, die seit «Titanic» in enger
Freundschaft einander zugewandten Ikonen wieder zusammenzuführen. In dem auf Richard Yates’ Roman basierenden Drama «Revolutionary Road» zelebrieren die beiden Schauspieltitanen ihre Reunion schliesslich dermassen spielfreudig, dass ihnen die
jeweils siebte Golden-Globe-Nominierung kredenzt wurde – eine für zwei Anfangdreissiger nachgerade sagenhafte Ausbeute.
Ein verpasstes Leben
Dass am Sonntag bei der Golden-Globe-Gala letztlich nur Winslet jubelte, hat einige einsichtige, aber gewiss keine künstlerischen Gründe. Als bald zerstrittenes, bald versöhntes Ehepaar, das im
bieder vorörtlichen Connecticut der 50er-Jahre dem amerikanischen Traum nachrennt, sind sich die beiden Stars jederzeit ebenbürtig und überdies immerzu im gleichen Takt in Aktion. DiCaprio gibt
den vergleichsweise freigeistigen Frank Wheeler, einen einfachen Angestellten, der morgens im Gleichschritt mit Tausenden anderer mit Anzug und Hut uniformierter Arbeitsbienen an der New Yorker
Grand Central Station aussteigt, um sich dann im Grossraumbüro Gedanken an ein anderes Leben hinzugeben, das er unbemerkt just am Verpassen ist. In dem kurzen Prolog, der die ersten Avancen
gegenüber seiner nunmehrigen Gattin April (Winslet) zeigt, hatte er noch ungleich bohemehafter gewirkt und von vagen Plänen zu einer alternativen Lebensweise abseits der strikten
Gesellschaftsnormen fabuliert. Eine Heirat, zwei Kinder und einen weissen Gartenzaun später lebt er nun freilich den Albtraum des freudlosen Mittelmasses und wird davon einfach nicht wach und
gewahr, dass dieses für ihn so offensichtlich ungeeignete Leben seine Persönlichkeit allmählich zersetzt. Da er zudem trotz eines oft aufbrausenden Naturells zur phlegmatischen Sorte gehört,
versucht er das längst auch zu Hause rumspukende Gespenst der schleichend zerstörerischen Alltagsroutine natürlich nicht mit reflektierten Korrekturen etwa an seinem beruflichen Dasein zu
verscheuchen, sondern nicht mal leidlich behelfsmässig mit einer tumben Affäre. Es ist folglich April, die verhinderte Schauspielerin und vernachlässigte Gattin, die das Elend erkennt, es nicht
mehr aushält und zur Rettung der Ehe und nichts weniger als ihres Verstandes den radikalen Bruch vorschlägt. Als man schliesslich übereinkommt, mit einer Übersiedlung nach Paris die beengende
Kleingeistigkeit der vermaledeiten, vermeintlich perfekten und heilen Vororts-Welt hinter sich zu lassen, scheint für einen flüchtigen Moment wieder die Sonne über den Eheleuten Wheeler. Doch
dann kommt abermals das Leben dazwischen.
Pessimistisches Sittenbild
Wie der mit einer beispiellosen Beobachtungsgabe gesegnete Sam Mendes auch hier wieder ein scharf umrissenes Sitten- und Stimmungsbild ausbreitet, ist von unerhörter Kunstfertigkeit. Dass der Weg
dazu für einmal weniger über das Visuelle denn vornehmlich über eine herausfordernd hohe Dialogintensität und unangenehme Fragen mit philosophischem Potenzial führt, zeugt derweil von einem
gewissen Selbstbewusstsein und dem gesunden Selbstverständnis, dass das Wiedersehen von Jack und Rose aus «Titanic» auch in pessimistischem Ton gehalten sein darf und also nicht zwingend einem
ähnlich breiten Publikum angedient werden muss. Was «Revolutionary Road» aber wirklich zum kleinen Meisterwerk macht, ist die an Selbstaufgebung grenzende Präsenz von DiCaprio und Winslet, deren
Stargesichter hinter den Mensch gewordenen Figuren gänzlich verschwinden.