Der Tod und das Mädchen

Zu einem stimmigen Ganzen vermochte Regisseurin Christine Jeffs die Geschichte der US-Dichterin Sylvia Plath zwar nicht zu verweben, doch bietet «Sylvia» einige Momente von höchster Intensität.

 

von Sandro Danilo Spadini

«Sterben / Ist eine Kunst, wie alles / Ich kann es besonders schön / Ich kann es so, dass es die Hölle ist, es zu sehn / Ich kann es so, dass man wirklich fühlt, es ist echt / Sie können, glaube ich, sagen, ich bin berufen zu diesem Ziele.» Mit diesen Worten aus dem postum erschienenen Gedichtband «Ariel» beginnt die filmische Aufarbeitung des Lebenswegs der amerikanischen Dichterin und Schriftstellerin Sylvia Plath, die sich 1963 30-jährig das Leben nahm. Die Verkörperung einer solch tragischen Persönlichkeit stellt für eine ambitionierte Schauspielerin naturgemäss eine höchst reizvolle Aufgabe dar; entsprechend begehrt war die Rolle denn auch. Gwyneth Paltrow machte schliesslich das Rennen und wechselte damit nach ihrer Rolle als Literaturwissenschaftlerin in Neil LaButes Romanze «Possession» quasi die Seiten. Eine weise Entscheidung. Denn eine bessere Besetzung für die Hauptrolle ihres sich etwas zu stark auf die – immerhin gut geschriebenen – Dialoge konzentrierenden Biopics «Sylvia» als mit der stets so traurig und zerbrechlich wirkenden Oscar-Preisträgerin hätte die neuseeländische Regisseurin Christine Jeffs («Rain») kaum finden können.

Funke springt nicht über

Paltrow ist es, die den Film zu jeder Zeit trägt. Und das ist auch nötig, zumal Jeffs bei ihrer zweiten Regiearbeit nicht immer ein glückliches Händchen bewiesen hat. Etwas unschlüssig, Mut, Konsequenz und Herzblut bisweilen vermissen lassend, erstattet sie in «Sylvia» Bericht über Plaths alles verzehrende Liebe zum englischen Dichter Ted Hughes (Daniel Craig). Derweil die Erzählung anfangs gar zügig voranschreitet und die Ereignisse – Kennenlernen, Heirat, Umzug in die USA, Rückkehr nach England, Elternglück – hastig abgearbeitet werden, wird das Tempo im weiteren Verlauf mehr und mehr gedrosselt. Fast wirkt es so, als ob Jeffs die erste halbe Stunde bloss als lästige Pflicht empfunden hätte; gewissenhaft lässt sie zwar die biografischen Eckdaten Revue passieren und ihre Protagonisten von Chaucer bis Yeats alles Namhafte an englischsprachiger Literatur rezitieren, die Poesie aber bleibt einstweilen auf die Tonspur beschränkt. Mehr Enthusiasmus ist freilich zu spüren, wenn Jeffs zum eigentlichen Kern ihrer Erzählung vordringt, es dann auf Ebene der Handlung beinahe zum Stillstand kommt und ausser tiefschwarzem Elend kaum mehr etwas ist. Der Funke der schönen bzw. traurigen Worte springt wohl immer noch zu selten auf die Bilder über, doch ergeben sich immer öfter Momente von höchster Intensität. Wenn etwa Plaths zunehmend irrationales Verhalten, ihre Eifersucht, das erneute Aufkeimen des seit je in ihr wohnenden Todeswunsches anlässlich eines Abendessens mit einem befreundeten Paar kulminieren, dann ist die Beklemmung nahezu greifbar. Spürbar wird die Verzweiflung, die Plaths Oeuvre durchzieht, wenn sie immer wieder daran scheitert, sich beruflich aus dem mächtigen Schatten ihres Mannes zu befreien. Und erst recht, wenn sie es nicht schafft, den dunklen Schatten, die er durch seinen Liebesentzug über sie gelegt hat, zu entkommen.

Paltrows Glanzmomente

Geschuldet sind diese intensiven, keineswegs ins allzu Melodramatische kippenden Momente gewiss auch Paltrows Spiel. Wie sie in einzelnen Szenen die Fassade ihrer Stärke zeigen wollenden, in ihrer Verletzlichkeit aber immerzu verlorenen Figur rapide bröckeln lässt, wie sie mit apathischem Blick lügt «Ich war noch nie glücklicher», das ist schon aller schauspielerischen Ehren wert. Doch auch sie bringt es – insbesondere in den Szenen mit Craig – letztlich nicht zu Stande, Plaths fatalistische Hingabe, ihren Hunger plastisch erscheinen zu lassen. Selbst wenn das Paar gegen Ende noch einmal zu einer Liebesnacht zusammenfindet, vermögen sich weder die amouröse Leidenschaft und schon gar nicht das latente erotische Potenzial zu entladen, wobei nicht bloss ein wenig mehr Mut zum Körpereinsatz angezeigt gewesen wäre. Gerade das Kühne aber ist es, das «Sylvia» abgeht. Es will sich einem einfach nicht erschliessen, was Sylvia Plath in Worte gefasst hat: «Seine Küsse sind Säuren, Schlangenschlingen / Es versteinert den Willen. Das sind die geheimen, langsamen Schwächen, die bringen / Den Tod, den Tod, den Tod.»