Nur fliegen kann sie nicht

Für den Neustart der Thriller-Saga um Lisbeth Salander wird die Hackerin zur Superheldin umfunktioniert und die Handlung zum Hintergrundrauschen marginalisiert. Immerhin flott ausschauen tut «The Girl in the Spider's Web».

 

von Sandro Danilo Spadini

142,6 Millionen Dollar reichen also nicht; einhundertzweiundvierzig Komma sechs Millionen Dollar sind offenbar nicht genug. So viel spielte nämlich die meisterhafte Stieg-Larsson-Verfilmung «The Girl with the Dragon Tattoo» (2011) nach Abzug der Produktionskosten ein, und bei Sony Pictures fand man da bloss: «Ach Gottchen» – und beschied Regisseur David Fincher, das mit den eigentlich fix eingeplanten Verfilmungen der Teile 2 und 3 von Larssons «Millennium»-Trilogie werde nun doch nichts. Es wird da noch andere Gründe für diesen Übungsabbruch gegeben haben – Terminkollisionen, kreative Differenzen, blablabla –; aber dass ein solches Einspielergebnis als derart enttäuschend taxiert wird, dass man nicht mehr weitermachen mag, das sagt schon viel aus über das Ausmass der Superhelden-beflügelten Kapitalisierung und Franchise-fixierten Kommerzialisierung des Kinos der Gegenwart.

Schon wieder Claire Foy

Wobei: Grad ganz sein lassen wollte man es dann doch nicht. Schliesslich ist auch die «Millennium»-Saga eine Franchise und damit eine potenzielle Goldgrube. Also neuer Plan: die Produktionskosten halbieren, gleich zum von David Lagercrantz elf Jahre nach Larssons Tod verfasstem viertem Teil switchen und mit einem komplett neuen Team die blasse, dürre, gepiercte, tätowierte, hyperintelligente, grenzautistische Hackerin Lisbeth Salander in eine Superheldin verwandeln. Klingt irgendwie nicht nach einer guten Idee. Und ist: keine gute Idee. Das Beste daraus zu machen, obliegt nun dem Uruguayer Fede Alvarez («Don't Breathe»), der bei «The Girl in the Spider's Web» («Verschwörung») Regie führt; der omnipräsenten Engländerin Claire Foy («The Crown»), die nach Noomi Rapace in der schwedischen Erstverfilmung und Rooney Mara die dritte Kino-Lisbeth gibt; und einem Haufen Kontinentaleuropäer, deren prominentester Mikael-Blomkvist-Darsteller Sverrir Gudnason («Borg McEnroe») ist. Mit Steven Knight gäbe es noch einen recht renommierten Drehbuchautor; doch angesichts der fast zum Hintergrundrauschen marginalisierten Handlung scheint sein Zutun kaum der Rede wert. Die Story ginge ja im Groben so: Ein Computercrack (fehlbesetzt: Stephen Merchant) beauftragt Lisbeth in Stockholm, ein von ihm entwickeltes Programm zurückzuholen, das Zugriff auf das weltweite nukleare Arsenal gewährt; ebenfalls daran interessiert sind: die NSA, schwedische Spione und das Söldnersyndikat The Spider, dessen Mitmischen für Lisbeth eine sehr persönliche Note hat.

Flache Figuren

Daraus hat David Lagercrantz einen Roman gebastelt, der sogar die meisten Larsson-Fans ziemlich zufriedengestellt hat – praktisch ein Ding der Unmöglichkeit. Fede Alvarez nutzt dieses Gerüst freilich bloss als Füllmaterial zwischen Prügeleien, Explosionen und Verfolgungsjagden, derweil das wenige an Emotion, das bei dieser Hektik aufflackern könnte, im schwedischen Winter erfriert: Seine Lisbeth turnt hier irgendwo zwischen Bond und Batman herum, kann eigentlich alles ausser fliegen und kommt als Figur trotzdem nicht vom Fleck – was sich auch Claire Foy anzukreiden hat, die das Geschehen nicht so zu dominieren vermag wie ihre verletzlicher wirkenden Vorgängerinnen Rapace und Mara. Und Blomkvist? Er ist hier mehr einer von der Sorte kuschelrockiger Schmusetyp, der an irgendwas Existenziellem laboriert, so wie das skandinavische Buch- und Filmmänner eben zu tun pflegen; nur ist es schlicht wurscht, was es denn damit auf sich haben könnte, zumal dieser Blomkvist derart wenig von Belang zu tun bekommt, dass man ihn auch gleich ganz hätte rausstreichen können, und er obendrein ein wirklich grauenhafter Langweiler ist. Kompensiert wird dieser Totalausfall indes nicht: Sämtliche übrigen Figuren sind geradeso flach geraten. Und damit noch zum Erbaulichen: Es stecken hier Bilder und gar Szenen drin, denen gereichte es in einem besseren Film nachgerade zu Klassikerstatus. Und auch die Atmosphäre ist intakt, sprich: richtig schauderhaft zum Frösteln dank der wie bei Fincher tonangebenden matten, kalten Farben, die gleichsam ein Schwarzweiss simulieren. Aber ein neuer Fincher ist Alvarez, der bisher im Low-Budget-Bereich daheim war, deshalb noch lange nicht. Vielmehr zeigt er sich am Ende leider als recht unreifer Vertreter seiner Zunft, der ob all des Knall- und Krawall-Zeugs, das ihm hier erstmals zur Verfügung steht, das Wesentliche verpasst: Figuren und Handlung zu entwickeln. Ein Schelm, wer jetzt feixt, vielleicht hätte es dem Film also ganz gutgetan, wäre das Budget noch ein wenig mehr eingestampft worden.