Tun Sie Ihre Bürgerpflicht!

Eine illustre Besetzung um John Cusack, Dustin Hoffman und Gene Hackman hebt den insgesamt unterhaltenden Gerichtsthriller «Runaway Jury» trotz mannigfaltiger Mängel über den Durchschnitt.

 

von Sandro Danilo Spadini

«Tun Sie Ihre Pflicht!» Mit diesen Worten entliess schon der von Gregory Peck unvergessen verkörperte Atticus Finch in «To Kill a Mockingbird» die damals noch ausschliesslich weissen, männlichen Geschworenen in ihre abschliessenden Beratungen. Die Pflicht, die Macht, die Verantwortung der zwölf Durchschnittsbürger besteht hier darin, über das Schicksal eines Menschenlebens zu entscheiden. Was in den Beratungen der Geschworenenjury genau geschieht, zeigte ein anderes klassisches Gerichtsdrama: Sidney Lumets «12 Angry Men» mit Henry Fonda gewährte einen atemberaubend spannenden Einblick in diese «Subkultur» innerhalb des amerikanischen Rechtssystems.

Schmutzige Tricks

Seit Attiucs Finchs und Henry Fondas Zeiten hat sich eine Menge getan: Die Zusammensetzung der Jury, auf die Anklage und Verteidigung wesentlichen Einfluss nehmen können, gilt längst als Schlüssel zum Erfolg. Spätestens seit dem medial ad nauseam ausgeschlachteten O.-J.-Simpson-Prozess stehen zunehmend sogenannte Jury Consultants, welche die Jurykandidaten auf Herz und Nieren testen, im Brennpunkt. Einen überaus unsympathischen Vertreter dieser Gilde verkörpert nun Gene Hackman in «Runaway Jury». Rankin Fitch ist das bare Gegenstück zu seinem Fast-Namensvetter Atticus Finch: ein arroganter, skrupelloser, machtbesessener Despot, der mit schmutzigen Tricks seine Erfolge zu erzielen pflegt. «In einem Gerichtsprozess gibt es immer Verlierer. Nur nicht mich», ist Fitch auch bei seiner neuen Aufgabe überzeugt: In einem spektakulären Prozess, in dem eine Waffenfirma für den Tod von elf bei einem Amoklauf umgekommenen Menschen verantwortlich gemacht werden soll, muss er die Haut der gesamten Waffenindustrie retten. «Prozesse sind zu wichtig, um sie einer Jury zu überlassen» lautet ein weiteres mit sardonischem Grinsen zum Besten gegebenes Fitch-Motto; doch da ist einer der Geschworenen anderer Meinung. Dieser (John Cusack) nämlich pfeift auf die korrekte Erledigung seiner Bürgerpflicht und lässt über seine Freundin (Rachel Weisz) Fitch wie auch den idealistischen Anwalt der Gegenseite (Dustin Hoffman) wissen, dass er für zehn Millionen Dollar den Ausgang des Prozesses im Sinne der zahlungswilligen Partei zu beeinflussen gedenkt.

Zu viel Hektik

Erstmals seit sechs Jahren liefert John Grisham mit «Runaway Jury» (deutscher Buchtitel: «Das Urteil») wieder eine vielschichtige Vorlage für einen Thriller um Anwälte und (sonstige) Kriminelle. Anders als bei den bisherigen sieben Grisham-Adaptionen hält sich das Medieninteresse am neusten Streich in überschaubaren Grenzen, was wohl daran liegen wird, dass der Film in den USA nicht gerade tumultartige Anstürme an den Kinokassen ausgelöst hat. Dabei wartet er immerhin mit der ersten Zusammenarbeit der privat seit Jahrzehnten befreundeten Oscar-Preisträger Dustin Hoffman und Gene Hackman auf, der nach «The Firm» und «The Chamber» bereits seinen dritten «Grisham-Auftritt» absolviert. Die rund siebenminütige gemeinsame Szene der beiden gehört denn auch zu den Glanzpunkten des zwischen Gerichtsdrama, Thriller und Sozialkritik etwas unschlüssig hin und her schwankenden Films. Insgesamt aber reicht «Runaway Jury» nicht an die Klasse früherer Grisham-Verfilmungen heran, zumal der junge Regisseur Gary Fleder («Don’t Say a Word») einmal mehr zu dick aufträgt. Mittels einer Schnitttechnik, die selbst Oliver Stone nervös machen würde, schlägt er anfangs ein nachgerade wahnwitziges Tempo an und zieht die Zügel nach einem etwas schwunglosen Zwischenspiel gegen Ende erneut massiv an. Die ganze Hektik, der Schnickschnack und die zwar exzellente, aber teils übermotivierte und selbstverliebte Kameraarbeit erweisen sich jedoch als kontraproduktiv, lenken zusätzlich von der ohnehin schon recht komplizierten Handlung ab. Flach wiederum wirkt die entgegen der Vorlage gar klar gezogene Trennlinie zwischen Gut und Böse, nicht rundum zufrieden stellend ist überdies das überraschende Finale. Dass sich Fleder nicht sonderlich fundiert mit der Waffen-Problematik auseinander setzt, ist hingegen verzeihlich; Michael Moore hat auf diesem Feld schliesslich bereits ganze Arbeit geleistet. Ausserdem soll hier in erster Linie unterhalten werden, und diesen Auftrag erfüllt «Runaway Jury» letztlich durchaus.