Der Tod in Paris, London und San Francisco

Clint Eastwood beschäftigt sich im Mysterydrama «Hereafter» mit dem Jenseits. Und er tut dies so unendlich viel unaufgeregter und intelligenter als die meisten seiner Regiekollegen.

 

von Sandro Danilo Spadini

Drei Geschichten erzählt Clint Eastwood in «Hereafter»: In Paris versucht sich die Journalistin Marie (Cécile De France) nach einer Nahtoderfahrung wieder im Alltag zurechtzufinden. In London versucht der Schuljunge Marcus (Frankie und George McLaren) den Unfalltod seines Zwillingsbruders zu verkraften. In San Francisco versucht der Arbeiter George (Matt Damon) die mit ihm kommunizierenden Toten zum Verstummen zu bringen. Drei Überlebenskämpfe also schildert Clint Eastwood in «Hereafter». Und er wagt sich dabei in Gefilde vor, in denen sich schon so viele seiner Regiekollegen heillos verirrt und verheddert haben. Dass der 80-Jährige sich mit dem Tod beschäftigt, ist nichts Überraschendes und schon gar nichts Neues; ob in seinen schiesswütigen Western-, Action- und Kriegsfilmen oder seinen gefeierten Dramen jüngeren Datums wie «Mystic River», «Million Dollar Baby» und «Gran Torino» – der Tod hatte in Eastwoods Filmen stets eine Schlüsselrolle inne. Dass der Altmeister nun noch den einen Schritt weiter geht und das Jenseits erkundet, ist da eigentlich nur konsequent. Erwartet hat man das von Clint Eastwood trotzdem nicht.

Magische Momente

Gewiss: Man kann das, was Star-Drehbuchautor Peter Morgan («The Queen») hier geschrieben hat, als bare Esoterik abtun. Und wer rein gar nichts mit dieser Thematik anfangen kann, sollte den neuen Eastwood wohl besser auslassen. Wer das tut, verpasst freilich manch magischen, manch mulmigen, manch melancholischen, manch magistralen Kinomoment. Herzzerreissend etwa ist es, was der kleine Marcus mit dem Verlust seines liebsten Menschen und in grauenhaft gefühlskühlem Unterschichtsumfeld mit einer drogensüchtigen Mutter zu erdulden hat. Elektrifizierend ist es, wie Marie nach einem fulminant inszenierten Tsunami mit dem Leben davonkommt und zurück zu Hause unentwegt von diesem Schockerlebnis heimgesucht wird. Und berührend ist es, wie George mit seiner Vergangenheit als professionelles Medium abschliessen und ein ganz normales Leben führen will. Wiewohl Eastwood die drei Storyfäden mit ihren so unterschiedlichen Schauplätzen erst ganz zum Schluss verknüpft, wirkt «Hereafter» wie aus einem Guss – hoch atmosphärisch ist der Film und stets flüssig. Dabei lässt sich Eastwood auch für Nebensächlichkeiten, scheinbare und tatsächliche, alle Zeit der Welt. Wenn er etwa George minutenlang beim Kochkurs zeigt, wo er sich umständlich einer verzweifelten Singlefrau (Dallas Bryce Howard) annähert, tut das nichts zur Sache, scheinbar. Oder wenn er Marie ausführlich über ein Buchprojekt zu François Mitterand reden lässt, hat das keinen Bezug zum Hauptthema, tatsächlich. Doch erden solche Szenen das bisweilen sehr wohl in gewisse Esoterik-Höhen abhebende Geschehen. Zudem zeigen gerade diese Szenen auf, wie ernst Eastwood seine Figuren nimmt. Und dass er seine Figuren derart ernst nimmt, ist angesichts der angespannten Glaubwürdigkeitslage umso unerlässlicher.

Milde Melancholie

Die wichtigste dieser Figuren ist mit George auch die einzig prominent besetzte. Und Matt Damon spielt seinen Part, wie Clint Eastwood inszeniert: ernsthaft und unaufgeregt. Wacker widerstehen der Star und sein Regisseur dem Kitsch und den Klischees – wie sie es ohnehin seit je tun in Filmen, die diesbezüglich böse enden könnten. Reinster Eastwood ist auch die minimalistische und melancholische musikalische Untermalung, die der Meister dieses Mal wieder selbst verantwortet; der gehörte und der gefühlte Ton entsprechen sich in einer Weise, wie sich hier alles andere entspricht: in idealer Weise. Clint Eastwood macht auch in «Hereafter» den Eindruck eines weisen und gütigen Grossvaters, der einen bei der Hand nimmt und sanft durch den Film führt. Dezent und ohne Sendungsbewusstsein ermahnt er einen dabei, einen offenen Geist für die grossen Geheimnisse und ein waches Auge für die kleinen Geschehnisse des Lebens zu haben. Und wenn auch einiges von dem, was er hier erzählt, nicht in die eigenen Vorstellungen passen mag – ihm glaubt man es noch so gerne.