von Sandro Danilo Spadini
In den späten 60er- und frühen 70er-Jahren ist Bob Crane ganz oben. Als Held der erfolgreichen Sitcom «Hogan‘s Heroes» wird der ehemalige Radiomoderator zu einer Ikone des amerikanischen
Fernsehens. Glücklich verheiratet mit seiner Highschool-Liebe, stets verbindlich im Umgang mit seinen Mitmenschen und eine verlässliche Grösse beim sonntäglichen Gottesdienst, nimmt nicht bloss
die Öffentlichkeit Crane zunächst als rechtschaffenen «All American Man» wahr. Die zunehmende Popularität bringt jedoch bald auch seine vormals versteckte, verdorbene und letztlich
verhängnisvolle Seite zum Vorschein. Unfähig, den Verlockungen des Ruhms zu widerstehen, und verführt durch seinen zwielichtigen Freund John Carpenter, gibt sich Crane mehr und mehr seiner
Sexsucht hin, reisst in Clubs Abend für Abend willige Groupies auf und hält zusammen mit Technik-Freak John seine sexuellen Eskapaden auf Foto und Video fest. Allmählich gerät der einstige
Saubermann in Verruf. Am 29. Juni 1978 ist Bob Crane buchstäblich am Ende. In einem Motelzimmer in Arizona wird seine Leiche gefunden. Die Tat wird nie aufgeklärt. Der Prozess gegen den
Hauptverdächtigen John Carpenter endet in einem Freispruch. Bis heute wird spekuliert.
Eindringliches Psychogramm
Einen Ausschnitt von 14 Jahren aus Cranes Leben zeigt Altmeister Paul Schrader («American Gigolo») in «Auto Focus». Entstanden ist nicht nur ein eindringliches Porträt eines ewig Rastlosen, ewig Suchenden und letztlich ewig Einsamen,
sondern auch eine stimmig inszenierte, präzise designte Reise durch die Zeit. Schrader ist seit je ein auf das Innenleben seiner Figuren sich konzentrierender, sich selbst zurücknehmender
Regisseur, dessen Filme oftmals subtile, bisweilen auch etwas kopflastige Psychogramme verstörter, mit sich selbst und der Welt ringender Männer sind. So erstaunt es denn auch nicht, dass sein
Trip durch die 60er- und 70er-Jahre formal weit weniger spektakulär ausgefallen ist als vergleichbare Biopics wie etwa Paul Thomas Andersons «Boogie Nights», Ted Demmes «Blow» oder Martin
Scorseses «GoodFellas» und «Casino», wobei sich der Vergleich mit Letzterem aufgrund der Schrader-Drehbücher zu dessen «Taxi Driver», «Raging Bull», «The Last Temptation of Christi» und «Bringing
out the Dead» – allesamt abermals Porträts desorientierter Männer – förmlich aufdrängt.
Exzellent besetzt
Nach einem kurzen Zwischentief mit dem doch recht enttäuschenden Thriller «Forever Mine» (1999) beweist sich Schrader mit dem durchaus freizügigen, gleichzeitig jedoch gänzlich unerotischen Drama
«Auto Focus» erneut als exzellenter Beobachter, der es versteht, in die Abgründe eines Menschen einzutauchen, ohne sich dabei eines reisserischen Voyeurismus verdächtig zu machen. Weder stellt er
Crane aufgrund seiner moralischen Verfehlungen an den Pranger, noch agiert er als dessen Anwalt oder erliegt gar der Versuchung einer romantischen Verklärung. Eine ausgezeichnete Wahl hat
Schrader schliesslich mit dem äusserlich biederen, äusserst sympathischen Hauptdarsteller Greg Kinnear (Jack Nicholsons schwuler Nachbar in «As Good as It Gets») getroffen. Kinnear bedankt sich
für die Rolle seines (bisherigen) Schauspielerlebens mit einer nuancierten, facettenreichen, ja gar Oscar-reifen Leistung, welcher es nicht zuletzt geschuldet ist, dass Schraders Intention, nicht
wertend Cranes Verhalten zu dokumentieren, überzeugend umgesetzt wird. An seiner Seite brilliert mit Charakterkopf Willem Dafoe – der bereits mit «Light Sleeper» (1991) und «Affliction» (1997) in
zwei der besseren Schrader-Filme mit von der Partie war – ein nach seinem Karrierekiller «Body of Evidence» (1992) allmählich endlich wieder Fuss fassender alter Bekannter als einerseits
unschuldiger, zugleich aber mephistophelischer «Agent provocateur» John Carpenter. Gut besetzt, ist halt halb gewonnen, und so liegt es letztlich zwar nicht nur, aber nicht zuletzt an Kinnear und
Dafoe, dass «Auto Focus» insgesamt zu einer der gelungeneren Regiearbeiten von Paul Schrader gezählt werden darf.