von Sandro Danilo Spadini
Es gibt Projekte, die scheinen einfach verhext zu sein. Nehmen wir
«Cry Macho»: Schon 1975 schrieb der Autor N. Richard Nash das Drehbuch zu dem Drama. Weil er es jedoch partout nicht an den Mann zu
bringen vermochte, setzte er sich nochmals hin und bastelte einen Roman aus dem Stoff. Nachdem dieser gute Kritiken geerntet hatte, bot er das um kein Komma veränderte Skript nochmals in
Hollywood feil. Und hallo: Auf einmal waren die Studios Feuer und Flamme. Nach Jahren des fruchtlosen Zauderns wurde 1988 schliesslich Clint Eastwood angefragt, die Rolle des früheren Rodeohelden
Mike Milo zu übernehmen, der für seinen Ex-Boss dessen 13-jährigen Sohn in Mexiko der bösen Mutter entreissen und zu ihm über die Grenze nach Texas bringen soll. Eastwood hatte aber andere Pläne,
schlug indes vor, die Regie zu übernehmen und den Part Robert Mitchum zu überantworten, wie «The Clint» auch nicht eben der weibische Typ. Über ein Gedankenspiel kam die Sache indes nicht hinaus.
Der nächste Versuch wurde mit Roy Scheider drei Jahre später gestartet, nach wenigen Drehtagen aber wieder abgebrochen. Alsdann waren auch mal Burt Lancaster und Pierce Brosnan im Boot, ehe
Arnold Schwarzenegger 2003 – Nash war hier bereits drei Jahre tot – ein Auge auf das Projekt warf; er wurde dann aber zum Gouverneur von Kalifornien gewählt. Nach Ablauf seiner Amtszeit wandte
sich Arnie abermals dem Stoff zu. Nun jedoch machten frivole Enthüllungen um ausserehelichen Schabernack der Sache einen Strich durch die Rechnung. Und so kam es, dass «Cry Macho» am Ende doch
noch in Eastwoods Schoss landete. Dort, wo der Stoff ja eigentlich hingehört. Ein richtiges Hollywood-Happy-End also?
Immerhin kein Rassist
Nicht wirklich, nein. Denn was Eastwood da mit 90 Lenzen auf dem Buckel mitten in einer Pandemie in New Mexico angefertigt hat, erweist sich letztlich als ziemliche Furzidee: als Murks und eine
laue Altersblähung. Und es wirkt in jedem Moment wie das Werk eines in der Tat sehr alten Mannes, der zum hundertsten Mal die gleiche zähe Geschichte erzählt: die Geschichte vom knorrigen Kauz,
dem die Augen geöffnet werden und eine zweite Chance zufällt, nachdem er auf dem Hürdenlauf durch das schicksals- und fehlergepflasterte Leben Familie und Karriere und endlich die Orientierung
verloren hat, dem Alkohol zugesprochen und wieder abgeschworen hat, vom Abstellgleis nur halbwegs zurück in die Bahn gefunden und sich mit einem Dasein ohne grössere Freuden und gröberen Trubel
abgefunden hat – ein harter Hund, der freilich immer noch viel zu stur und anstrengend selbstgerecht ist, als dass er darüber zum Weichling und übertrieben altersmilde würde. Die einzige
Variation dieses ewigen Topos besteht hier darin, dass diese simple, die Grenze zur Einfältigkeit touchierende Geschichte Ende der Siebziger und in einem doch recht folkloristisch gezeichneten
Mexiko stattfindet. Immerhin aber ist dieser Mike keiner der üblichen bigotten Eastwood-Rassisten, denen man auch noch applaudieren soll, wenn sie in der Dämmerung ihres Lebensabends doch noch
einen Funken An- und Verstand entdecken. «Cry Macho» ist freilich nicht nur der Film von einem alten Mann, sondern auch ein Film für einen alten Mann. Alles scheint hier darauf angelegt zu sein,
den gebrechlichen Star zu schonen, der sich kaum mehr auf den Beinen halten mag, es sich in einem schwer erklärbaren Akt zum gruseligen Fremdschämen aber nicht hat nehmen lassen, dass die
Señoritas reihenweise weiche Knie bekommen, wenn der ein halbes Jahrhundert ältere Haudegen etwas Galantes röchelt. Ansonsten aber geht es in stockendem und auch mal zum Stillstand kommendem
Schongang voran: Die «brenzligen» Situationen, in die Mike, Rafo (Eduardo Minett) und ein Kampfhahn namens Macho auf ihrer langen, quälend langsamen und komplett spannungsfreien Flucht vor
gesichtslosen Schergen geraten, lösen sich jeweils ebenso im Handumdrehen in Wohlgefallen auf wie die Konflikte und Konfliktchen, die sie mit sich und anderen ausjassen. Geradeso rassig läufts,
wenn der unverwüstliche Cowboy Mike Probleme löst, Feuer löscht, Pferde zähmt, Tiere heilt und Rafo in Ziehvatermanier in sein Metier einführt. Umgekehrt ziehen sich Szenen ohne erkennbaren
Mehrwert ins Endlose und darf Eastwood ausgiebig am Lagerfeuer ruhen, um weichgespülte Weisheiten und vorgekaute Lebensbeichten abzusondern, die so prickelnd und sättigend sind wie eine halb
volle Flasche schaler mexikanischer Plörre und deren Belanglosigkeit nur von ihrer Abgedroschenheit übertroffen wird. Und angesichts der holprigen Interaktion mit seinem mimisch allenfalls
rudimentär begabten jugendlichen Sparringspartner liegt der Verdacht nahe, dass Eastwood es nach dem ersten Take jeweils hat gut sein lassen.
Grotesk nachlässiges Skript
Es macht zwar keinen Spass, einen Hochbetagten und einen Halbwüchsigen für ihre Unzulänglichkeiten derart in den Senkel zu stellen. Es macht aber halt noch weniger Spass, den beiden bei ihrem
ungelenken Geplänkel zuzuschauen. Dies umso mehr, als daraus rein gar nichts von Interesse erwachsen will. Es wird ein bisschen über Gott und die Welt geredet («philosophiert» trifft es hier
wirklich nicht) und über das richtige Mass an Männlichkeit schwadroniert («dieses Macho-Ding wird überschätzt», resümiert Mike); doch das ist alles furchtbar nichts sagend, nichts erzählend,
nichts auslösend. Sprich: Auch mit dynamischeren und versierteren Akteuren wäre das nichts geworden. Und das wiederum ist eine schallende Ohrfeige für das grotesk nachlässige Skript und dessen
Co-Autor Nick Schenk, der bereits in «Gran Torino» und «The Mule» grosszügig die alten Clint-Klischees bedient hat. Wie man das smarter macht mit einem 90-Jährigen an vorderster Front, hat vor
ein paar Jahren Harry Dean Stantons herrlicher Schwanengesang «Lucky» vorgeführt. Und Herrgott noch mal: Sogar die thematisch praktisch identische, in fast jeder Hinsicht unbemerkenswerte
Liam-Neeson-Standardpartie «The Marksman» des Eastwood-Vertrauten Robert Lorenz hat eine solche Geschichte gerade eben noch um Längen besser umgesetzt. Er sei für niemanden ein Verlust, wenn er
mal gegangen sei, wird Mike von seinem Boss (Dwight Yoakam) angekeift. Eastwood werden wir selbstredend sehr wohl arg vermissen, wenn seine Zeit gekommen ist. Der Mann ist schliesslich ein
Monument, an dem ein solcher Querschläger spurlos abprallt. Aber hier ist abgesehen von ein paar hübschen Landschaftsaufnahmen, gelegentlichen feinen Kameraschwenkern und den gewohnt lieblichen
Musikklängen einfach so wenig Fleisch am Knochen, dass das glatt als vegetarisch durchgeht. Kann man etwas Schlimmeres über einen Film von Clint Eastwood sagen? «Cry Macho» ist jedenfalls nicht
mehr als eine Pinkelpause auf seinem vor Urzeiten angetretenen Ritt in den Sonnenuntergang, der nun schon so lange andauert, dass es kein Wunder ist, dass der Gaul allmählich schlappmacht.