Durchschlagendes Comeback

Im konventionellen, dank starkem Schlussspurt aber gelungenen Boxerfilm «Cinderella Man» treibt Regisseur Ron Howard seinen «A Beautiful Mind»-Star Russell Crowe erneut zu einer Höchstleistung.

 

von Sandro Danilo Spadini

In der Geschichte des Boxens gibt es keine ergreifendere Geschichte als die Schilderung des Lebens von James L. Braddock», steht zu Beginn von «Cinderella Man» geschrieben. Und damit ist dann auch schon klar, wo Regisseur Ron Howard und sein Star Russell Crowe mit diesem Biopic hinwollen: Ins Kodak Theatre soll diese märchenhafte und doch wahre Geschichte das «A Beautiful Mind»-Erfolgsgespann abermals führen – ein Oscar solls bitte schön sein, zumal sich ja im Vorjahr sowohl das Boxerfilm-Genre mit dem Abräumer «Million Dollar Baby» als auch Film-Biografien wie «Ray» als Erfolgsgaranten entpuppten. Freilich haben Howard und Crowe da die Rechnung ohne den Wirt der Studio-Schenke gemacht. Denn so raffiniert das alles auch kalkuliert sein mag und so schön tränendrückend ihr im historischen Kontext eingebetteter Film auch ist: Tendenziell werden die beiden diesmal nicht beim kleinen goldenen Kerl landen können. Deutlichster Hinweis darauf: In den USA lief «Cinderella Man» bereits im Juni an – was ihn wiederum für die Anfang 2006 zu treffende Selektion der so vergesslichen Academy-Mitglieder praktisch per se disqualifiziert. Sehenden Auges haben die Studio-Oberen also die Chance auf Ruhm und Ehre aufgegeben und sich stattdessen Träumereien vom grossen Reibach im lukrativen US-Kinosommergeschäft hingegeben. Letzten Endes könnten sie damit aber ein Eigentor fabriziert haben: An den Kinokassen enttäuschte die 88-Millionen-Dollar-Produktion nämlich mit einem Einspielergebnis von bislang rund 60 Million Dollar, derweil die US-Kritik fast in globo voll des Lobes ist.

Ein Stück Fleisch

In der Tat hat «Cinderella Man» eigentlich alles, was ein Oscar-Film braucht: Tragik, Dramatik, Bildpracht, im topfitten Russell Crowe einen lupenreinen Sympathieträger und mit der als Braddocks Gattin agierenden Renée Zellweger sowie dem wunderbaren Paul Giamatti zwei weitere Cracks, die mitnichten schauspielerische Fliegengewichte sind. Die wichtigste Eigenschaft jedoch, die bare Klasse, offenbart sich in diesem treffsicheren, aber konventionellen Sportlerdrama gleichwohl erst spät – zu spät vielleicht. Lange Zeit fehlt es ihm ein wenig an Herzblut und Kampfschweiss; zu glatt, zu gediegen, zu geschmeidig wirkt Howards Inszenierung, der im innerdisziplinären Vergleich insgesamt das Verruchte eines Scorsese, das Kernige eines Eastwood und auch der Sportler-Stallgeruch der «Rocky»-Filme abgeht. So wie der grosse Michael Mann, dessen edle Optik nicht so recht zur Muhammad-Ali-Biografie «Ali» passen wollte, besteht auch Howard mit seiner sauber-opulenten Bildsprache nur bedingt den Eignungstest für dieses Genre. Folgerichtig konzentriert er sich zunächst denn auch vor allem auf Braddocks Privatleben. Bisweilen gar langatmig schildert er dessen Abstieg vom hoffnungsvollen, aber verletzungsanfälligen Talent zum armen Schlucker, der sich in New Jersey als Dockarbeiter und als nicht mehr lizenzierter Sparringspartner zu verdingen versucht. Erst 1934, nach fünf Jahren des Überlebenskampfs als einer von 15 Millionen Arbeitslosen in der Grossen Depression, kehrt Braddock in den Boxtempel des Madison Square Garden zurück – als «Stück Fleisch», wie es sein Manager (Giamatti) nennt, das seinem ambitionierten Kontrahenten zum Frass vorgeworfen werden soll. Mit leerem Magen steigt Braddock jedoch wie Phönix aus der Asche auf und lanciert so ein fast unmögliches Comeback, mit dem er zum Hoffnungsträger für eine darniederliegende Nation wird.

Sieg nach Punkten

«Cinderella Man» ist ein Kampf über die vollen 15 Runden, die alles beinhalten, was man so erwarten darf: Ouvertüre mit Braddock als etabliertem Jungstar (Runde 1), sportlicher Absturz (2 bis 3), Leben in Armut (4 bis 6), Comeback (7), Aufbautraining und Rückkehr in die Elite (8 bis 9), Vorbereitung auf den Weltmeisterschaftskampf gegen Max Baer (10), Familienkonflikt (11), Kabinengeflüster vor dem grossen Kampf (12), WM-Fight (13 bis 14) und Abspann mit Texttafeln (15). Richtig ab geht es freilich erst ab Runde 7, wenn Howard endlich anfängt, Emotionen in den Film reinzuprügeln. Nun begreift man auch, dass es die etwas lauen Aufwärmrunden gebraucht hat. Denn jetzt geht es ans Eingemachte. Eingedenk des zuvor Gezeigten berührt und ergreift die mit nunmehr packenden Kampfszenen aufgepeppte Schilderung am Ende gerade so, wie anfangs angekündigt wurde. Und so wird dieser Spätzünder doch noch zu einem «Winner». Nicht mit einem K.-o.-Triumph zwar, aber mit einem klaren Sieg nach Punkten.