Die perfekte Ehefrau geht auf Identitätssuche

Das Drama «The Private Lives of Pippa Lee» trumpft mit einer starken Hauptdarstellerin und bewegenden Momenten auf. Dem eigenen hohen Anspruch wird es aber nicht immer gerecht.

 

von Sandro Danilo Spadini

Wie jemand zu dem geworden ist, was er heute ist, kann einen einfachen Grund haben. Oder es kann eine Vielfalt von Gründen haben. Im Fall von Pippa Lee (Robin Wright Penn) trifft Letzteres zu. Und was die Sache noch kompliziert macht: Es ist gar nicht so klar, wer Pippa Lee denn heute wirklich ist. Die wesentlichen Paramater sind die: perfekte Hausfrau und fürsorgliche Gattin eines 30 Jahre älteren Verlegers, allseits geschätzt, weit herum geliebt. So wird Pippa wahrgenommen, das ist ihre Persona. Wer und was Pippa wirklich ist, was ihre Person ist – das indes muss Rebecca Miller («Personal Velocity») in den folgenden rund 100 Minuten schon genauer erklären. Die Voraussetzung dazu sind günstig, zumal die Regisseurin bei der Adaption ihres eigenen Buches gleich von einer Star-Heerschar assistiert wird: neben Wright Penn sowie Alan Arkin als Pippas Gatte auch von Keanu Reeves, Maria Bello, Julianne Moore, Monica Bellucci, Winona Ryder.

Das Krude und das Seichte

Obwohl «The Private Lives of Pippa Lee» erst ihr vierter Film in 15 Jahren ist und es teils nur winzige Rollen absetzt, scheinen sich die klingenden Namen nicht zweimal bitten zu lassen, wenn Miller ruft. Das sagt einiges aus über den Stellenwert, den die Ehefrau des Oscar-Preisträgers Daniel Day-Lewis und Tochter des Pulitzer-Gewinners Arthur Miller in der Branche geniesst. Wie jedoch schon zuletzt in «The Ballad of Jack and Rose», wo sie ebenfalls vertrackte Persönlichkeiten zu erforschen trachtete, fällt es der vormaligen Sundance-Siegerin auch hier nicht so leicht, dem eigenen hohen Anspruch gerecht zu werden. Die Spurensuche in der Akte Pippa Lee ist wohl geprägt von manchen bewegenden und intimen Augenblicken, die auch visuell mit Fantasie umgesetzt sind; das grosse, umfassende Bild, das am Ende stehen soll, weist aber gewisse Unebenheiten gerade in der Tiefe auf. Das freilich ist mitnichten das Versäumnis von Robin Wright Penn; sie vielmehr ist es, die die gröbsten Schwächen des Skripts ausbügelt. Verschenkt sind derweil die meisten anderen mimischen Hochkaräter. Ihnen gewährt Miller gar wenig Raum zur Entfaltung, und zu oft lässt sie sie ins Leere laufen, lässt sie sich verirren in einem kruden Dickicht aus Tragik, Romantik und Humor. In seinen besten Momenten mag das an Woody Allen gemahnen, in seinen schlechtesten allerdings erinnert es mehr an TV-Seichttum. Besonders die heiteren Szenen stehen quer in der idyllischen Connecticuter Landschaft, in der sich Pippa apathisch und abgespact wie eine Stepford Wife bewegt. Dem Ursprung der plötzlichen Identitätskrise ihrer Protagonistin kommt Miller mit solch humoristischen Mitteln jedenfalls nicht näher.

Das Wilde und das Brave

Aber zurück auf Start: Wer war denn und wer ist jetzt diese Pippa Lee? Eine Ahnung davon vermag Miller sehr wohl zu vermitteln. Unweigerlich muss sie uns dazu in die Vergangenheit entführen, mittels Rückblenden in Pippas Jugendjahre. In diesen hat Wright Penn den Lead an die überzeugende «Gossip Girl»-Darstellerin Blake Lively abgetreten, welche wiederum ein ganz anderes Bild unserer Heldin zeichnet: Geschlagen mit einer psychisch instabilen Mutter (Bello), sucht Pippa die Ferne vom unruhigen Zuhause und die Nähe der unheiligen Teenager-Dreifaltigkeit Sex, Drogen und Rock ‘n‘ Roll. Der Rock ‘n‘ Roll ist dabei mehr das intellektuelle Künstlermilieu, in welchem Pippa Bekanntschaft mit einigen recht farbenfrohen Gestalten macht, darunter auch ihr späterer Ehemann. Schön kontrastiert wird das Wilde der Rückblenden mit dem Braven der Gegenwart: Die Künstler sind zwar noch da, doch sie sind alterszahm geworden. Und Pippa ist nun – scheinbar – die Vorzeigeehefrau, bei der man – im Prinzip – keine Angst haben muss, dass sie etwas mit dem so attraktiven wie problembelasteten neuen Nachbarn (Reeves) anfängt. Scheinbar und im Prinzip. Denn ob man seiner Vergangenheit entkommen kann und ob sich Menschen wirklich vollständig (ver)wandeln können – das ist hier die Frage. Rebecca Miller beantwortet sie nicht schlüssig; am Ende ist man nicht wirklich schlauer. Doch das ist vielleicht ganz gut so.