Bei Anruf Morddrohung

Eine Telefonzelle ist der Schauplatz des nervenaufreibenden Thrillers «Phone Booth» und zugleich die Plattform für eine schauspielerische Ausnahmeleistung von Shootingstar Colin Farrell.

 

von Sandro Danilo Spadini

Die Idee ist nicht neu: Ein Mann betritt eine Telefonzelle. Es klingelt. Der Mann hebt ab. Die Stimme am anderen Ende teilt ihm mit, dass ein Präzisionsgewehr auf ihn gerichtet sei. Sobald er den Hörer auflegt, ist er ein toter Mann. Wie man aus dieser attraktiven Grundkonstellation einen abendfüllenden Spielfilm machen könnte, darüber hat sich bereits Alfred Hitchcock den Kopf zerbrochen. 1943 drehte der Herr aller Thriller mit «Lifeboat» schon einmal einen Film mit einem einzigen auf kleinsten Raum begrenzten Schauplatz: ein Boot auf hoher See; das Experiment mit der Telefonzelle sah er sich jedoch ausser Stande umzusetzen. Mit Joel Schumacher bringt nun ein Regisseur die Geschichte auf die Leinwand, in dessen langer und abwechslungsreicher Karriere von grottigen Filmen («8 mm», «Bad Company») über solides Handwerk («The Client», «Batman Forever») bis zu kontroversem Spitzenkino («Falling Down», «Tigerland») sich so ziemlich alles findet. «Phone Booth» heisst der mit nur rund 80 konstant spannenden Minuten Spielzeit vernünftig kurz gehaltene Thriller, der eindeutig zu den besseren Schumacher-Filmen gehört und wohl sogar den kritischen Master of Suspense zufrieden gestellt hätte.

Sünder und Richter

Der Mann in der Telefonzelle, mit dem sich der Zuschauer zwangsläufig identifizieren muss, ist eine zwiespältige Figur: Stu Shepard (Colin Farrell) ist ein ebenso egozentrischer wie erfolgloser PR-Agent, dessen Leben ein einziger Sumpf aus Lügen und Selbstbetrug ist, der sich aber noch ein gewisses Mass an Würde behalten will, indem er seinen Ehering ablegt, während er mit seiner Möchtegernfreundin (Katie Holmes) telefoniert. Da seine Frau (Radha Mitchell) die Handy-Abrechnung kontrolliert, benutzt er für seine täglichen telefonischen Flirts einen öffentlichen Apparat, der schliesslich zu seinem Käfig wird, als sich am anderen Ende der Leitung ein psychopathischer, sich zum Grossstadträcher aufschwingender Scharfschütze (Kiefer Sutherland mit einem fast ausschliesslich akustischen Auftritt) meldet, der ihm seine Sünden vor Augen führt und ihn dafür zu richten gedenkt. Auflegen ist für Stu keine Option: Wird das Gespräch beendet, ist auch sein Leben zu Ende.

Die Colin-Farrell-Show

Nicht nur Hitchcock-Kennern, sondern auch Videopremieren-Freunden dürfte die Geschichte bekannt vorkommen: So ziemlich dieselbe Konstellation gab es bereits in dem ganz passablen Wesley-Snipes-Thriller «Liberty Stands Still» aus dem Jahre 2001. Schumacher nun mit Plagiats-Vorwürfen zu konfrontieren, wäre indes unangebracht, zumal «Phone Booth» bereits vor über zweieinhalb Jahren entstand; wegen des 11. September und später wegen der unheimlichen Sniper von Washington musste das Startdatum jedoch wiederholt verschoben werden, sodass der in nur zehn Tagen abgedrehte und in Echtzeit ablaufende Thriller in den USA erst vor rund einem halben Jahr das Licht der Kinosäle erblickte. Für die Auswertung im deutschsprachigen Raum liess man sich nochmals vergleichsweise viel Zeit, was sich insofern als weise herausstellen dürfte, als Hauptdarsteller Colin Farrell («The Recruit»), zur Zeit der Entstehung des Films noch ein weitestgehend unbekannter Frischling, der in Schumachers Anti-Kriegs-Drama «Tigerland» entdeckt worden war, inzwischen zu Hollywoods neuem Shootingstar aufgestiegen ist – eine aus Verleihersicht glückliche Fügung, welche die Kinokassen in noch etwas erhöhter Kadenz klingeln lassen dürfte. Dies umso mehr, da «Phone Booth» die definitive Colin-Farrell-Show ist. Wie der noch recht unerfahrene Ire diesen Film von der ersten bis zur letzten Minute trägt, wie er die Wandlung vom blasierten Schnösel zum reuigen Sünder, die zunehmende Verzweiflung bis hin zum namenlosen Entsetzen in Stus Gesicht zum Ausdruck bringt, verdient mehr als nur Respekt. Seine Ausnahmeleistung macht vielmehr verständlich, weshalb die renommiertesten Regisseure Hollywoods sich um diesen Mann reissen. Und auch Schumacher scheint nach wie vor begeistert von «seiner» Entdeckung: In seinem neusten Film «Veronica Guerin» hat Farrell wiederum seinen Auftritt – auch wenn dieser nur wenige Sekunden dauert.