von Sandro Danilo Spadini
Die erste Sequenz von Marina Zenovichs Doku «Roman
Polanski: Wanted and Desired» ist gleich ein Schlag ins Gesicht. Wir sehen und hören Polanski in einem alten Interview sagen: «Na ja, ich mag junge Frauen.» Er sagt das mit neutralem
Ausdruck, ohne Schuldbewusstsein, und schiebt ebenso neutral, ohne Selbstgefälligkeit, nach: «So wie es die meisten Männer tun.» Er redet noch etwas weiter, dann ertönt die schaurige Titelmusik
aus «Rosemary’s Baby» – der Prozess ist spektakulär eröffnet. Doch täuscht der knallige Auftakt des schon im Juli 2008 in den USA gestarteten und bei uns nun parallel auf DVD und im Kino
herausgebrachten Films: Showeinlagen sucht man hier vergebens, auch wenn Zenovich gekonnt mit mannigfachen Stilmitteln operiert und bisweilen Polanskis Fiktion mit der Realität verwebet. Und auch
über die Schuldfrage wird hier nicht verhandelt – die ist geklärt.
Wertvoller Kontext
Ohne Polanski in gewiss nicht verdienten Schutz zu nehmen, trägt Zenovich – meist en passant – allerdings dem damaligen Zeitgeist Rechnung. So wird nicht unterschlagen, dass Polanski zur Tatzeit
vom «Vogue Hommes Magazine» damit beauftragt war, junge Mädchen wie das 13-jährige Opfer Samantha Geimer abzulichten. Einem selbst überlässt es Zenovich derweil, was man mit dieser Information
anfängt. Ob man weiterdenken und sich fragen möchte, was ein Magazin für erwachsene Männer mit solchen Bildern denn will und was man von just jener Doppelmoral hält, wie sie etwa auch in den
Neunzigern mit der medial orchestrierten Aufgeilung des Publikums an der damals 14-jährigen «Tennis-Lolita» Anna Kurnikowa zutage trat. Ebenso nicht unerwähnt lässt Zenovich, dass Polanski zuvor
eine offenbar ohne Befremden wahrgenommene Beziehung mit der damals 15-jährigen Nastassja Kinski hatte. Und prominent erwähnt sie, dass Samanthas Mutter ihre Tochter sehenden Auges in eine
dekadente Gesellschaft einführte, der eben auch Polanski angehörte. Das alles dient wohlverstanden nicht dazu, den Täter zu entlasten; nie suggeriert Zenovich etwas anderes, als dass Polanski
schuldig wie der Teufel ist. Doch ist es unentbehrlich, agiert die Regisseurin im Sinne eines fairen Prozesses doch abwechselnd als Anwältin des Täters und des Opfers und denkt nicht daran, sich
je zur Richterin aufzuschwingen.
Ein Richter sieht rot
Richten wird Zenovich gleichwohl, und zwar dann, wenn sie nach einem biografischen Abriss inklusive intensiver Beleuchtung des Mordes an Polanskis Ehefrau Sharon Tate zur juristischen
Aufarbeitung und damit zum Hauptaugenmerk des Films überleitet. In Abwesenheit von Polanski, von dem keine neueren Aufnahmen zu sehen sind, treten nun die eigentlichen Protagonisten vor. Zenovich
lässt Polanskis Anwalt zu Wort kommen, ebenso den Staatsanwalt und dessen Stellvertreter (der sich dieser Tage freilich als Lügner outete). Und alle wie auch Samantha Geimer lässt sie über die
Schlüsselfigur sprechen: den publicitysüchtigen und celebrityaffinen Richter Laurence Rittenband, der mit allen Beteiligten ein wahrhaft mieses Spiel trieb. So liess er die Anwälte einen
Scheinprozess führen, dessen Ausgang er schon bestimmt hatte: Polanski sollte, nachdem er sich des «ungesetzlichen Geschlechtsverkehrs» für schuldig bekannt hatte, aufgrund eines psychologischen
Gutachtens mit einer Bewährungsstrafe davonkommen. Rittenband brach den Deal und schickte Polanski für eine «diagnostische Studie» ins Gefängnis. Diese Studie empfahl wiederum eine
Bewährungsstrafe. Doch dem sich mittlerweile jenseits des Gesetzes bewegenden Richter konnte nicht mehr getraut werden, sodass es nicht einmal den Staatsanwalt überraschte, dass Polanski
schliesslich flüchtete. Zenovichs Film erzählt also vor allem von einem zweiten Verbrechen, das im Fall Polanski geschah: jenes eines Richters an Täter, Opfer und nicht zuletzt am Justizsystem.
Die Regisseurin hat das Interesse an diesem Fall noch nicht verloren. Sie weilt derzeit in Zürich, um an einer Fortsetzung zu arbeiten – und um wie mit «Wanted and Desired» etwas Licht ins Dunkel
und Besonnenheit in die Aufregung zu bringen.