Wie man den Staatsfeind Nummer eins zur Strecke bringt

In «Public Enemies» begeben sich Michael Mann, Johnny Depp und Christian Bale auf Spurensuche in die Dreissigerjahre und erzählen vom legendären Bankräuber John Dillinger.

 

von Sandro Danilo Spadini

Es gibt zwei Dinge in «Public Enemies», die eigentlich das Markenzeichen Michael Manns unterminieren: Zum einen setzt der grosse Stilist in dem Gangsterepos auf eine eher budgetbewusst wirkende digitale Technik; zum anderen verlässt der aufmerksame Beobachter modernen urbanen Lebens hier das Jetzt und taucht tief in die depressionsgeschüttelten Dreissigerjahre ein. Dass man bei «Public Enemies» gleichwohl von einem typischen Michael-Mann-Film sprechen kann, muss mithin daran liegen, dass es hier eben mehr als nur zwei Dinge gibt, die so ganz dem Modus Operandi des 66-Jährigen entsprechen. Und in der Tat sind der inhaltliche Kern wie der dramaturgische Aufbau von Manns zehntem Kinofilm nahezu deckungsgleich mit dessen Hit «Heat»: Räuber und Gendarm liefern sich ein minutiös geschildertes Fernduell; Banken werden überfallen, Strategien entwickelt, Teams selektioniert; zwischendurch geben sich die Opponenten einem furios choreografierten Endlos-Schusswechsel hin; dem coolen Räuber raubt eine neue Liebe die Konzentration; der verbissene Gendarm nutzt das aus.

Manns Kabinettstückchen

Die sich da duellieren, sind wie bei Mann üblich zwei von der hollywoodschen A-Liste: Johnny Depp gibt mit knackiger James-Cagney-Attitüde den zum Staatsfeind Nummer eins deklarierten und zum Publikumsliebling avancierten Bankräuber John Dillinger, Christian Bale steht ihm gegenüber in der Rolle des von FBI-Chef J. Edgar Hoover (Billy Crudup) hofierten Bundespolizisten Melvin Purvis, eines Exponenten der sich gerade durchsetzenden modernen Verbrechensbekämpfung. Wie in «Heat», «The Insider», «Collateral» und zuletzt «Miami Vice» stellt Mann also ein Männerdoppel ins Zentrum einer so actionreich wie unterkühlt erzählten und gefilmten Geschichte auf Leben und Tod, die vor allem auch auf die extrem belastete Psyche der sich gleichsam spiegelnden Männer fokussiert. Weil ihm ebendiese zweite Dimension wenigstens so wichtig ist wie das Spektakel, lässt Mann seine von jedweder Dualität beherrschten Geschichten seit je sachte starten. So auch hier, wo hinzukommt, dass der pedantische Perfektionist sich wie in der Boxer-Biografie «Ali» zusätzlich um die komplexe historische Akkuratesse scheren muss. In «Ali» hat just dies zu einer gewissen Schwerfälligkeit geführt – wiewohl dort mit der Schlussszene der vielleicht grandioseste Kinosportmoment der Filmgeschichte zu finden ist. In «Public Enemies» zeigt sich Mann nun als versierterer Historiker, überzeugt als solcher aber abermals nicht restlos. Wieder schwer fällt die Orientierung bei dem vielköpfigen Personal, das sich nebst Marion Cotillard als Dillingers Liebchen vornehmlich aus uniform frisierten und gewandeten Männern mit Waffen rekrutiert; erneut stockend kommt die Geschichte in die Gänge. Doch diesmal streut Mann schon von Beginn weg Kabinettstückchen ein, die das Publikum bei der Stange halten. Und allmählich wird der rhythmisch stetig variierte Film dann quasi zu einem einzigen Gustostückerl.

Formal hochmodern

Indes sind es nicht nur herausragende Einzelszenen, welche die zweite Hälfte auf Mann-Niveau heben. Vielmehr hat das auch den profanen Grund, dass sich das Geschehen zusehends des Nachts abspielt und sich so zu verdichten vermag – ein Michael Mann hat sich schliesslich noch immer am geschmeidigsten im Dunkel bewegt. Hier macht sich auch das digitale Bild besser, wovon man schon in «Collateral» Zeuge werden konnte. Bereits dort nämlich setzte Mann auf Digital; in dem reinen Nachtstück hatte das aber keinerlei Negativeffekte wie nun in «Public Enemies», wo das Set bisweilen gerade so rüberkommt: wie ein Set, leicht handgestrickt und recht hausbacken. Die Vorteile der neuen Technik überwiegen freilich auch hier. So ist die Kamera ungeheuer beweglich und nahe dran an den Figuren. Und das Videobild nimmt zusammen mit dem grösstenteils zeitgenössischen Soundtrack dem Gangster-Glamour das «Barocke», sodass der detailfreudig die Dreissiger zelebrierende Streifen vor allem formal hochmodern und einzigartig geworden ist. Ein Meister, wer solches fertigbringt. Ein Meister namens Michael Mann.