Beziehungen und andere Katastrophen

Mit einer formidablen internationalen Besetzung kehrt Woody Allen für «You Will Meet a Tall Dark Stranger» nach London zurück – und zeigt sich gegenüber zuletzt klar formverbessert.

 

von Sandro Danilo Spadini

Wenn Woody Allen sein neues Lustspiel nach knapp 100 Minuten abpfeift, ist man erst mal perplex. Nicht nur hätte man manche Frage noch gerne beantwortet gehabt. Vor allem hätte man einfach noch etwas bei diesen närrischen Neurotikern verweilen wollen. Ihnen zuschauen wollen, wie sie sich das neuste Malheur leisten; ihnen zuhören wollen, wie sie sich aus der nächsten Bredouille herauswinden; ihnen zujubeln wollen, wenn sie eine weitere Pirouette drehen auf dem glitschigen Parkett des Lebens gemäss Woody Allen. Doch nichts ists. Mister Allen ist jetzt fertig – aufhören, wenn es am schönsten ist. Und schön ist es in der Tat gerade, und schön war es auch zuvor. Denn Woody Allen hat in «You Will Meet a Tall Dark Stranger» endlich mal wieder aufgetrumpft und ist bei seinem vierten Abstecher nach London zu «Match Point»-Form aufgelaufen.

Altes Bekanntes

Einem findigen Produzenten mag dereinst einfallen, mit dem Typenpersonal von Allens Neustem eine Fernsehserie zu konzipieren. Erfolg zeitigen würde solcherlei freilich nur, wenn auch die Besetzung von der Leinwand auf die Mattscheibe übersiedelte – angesichts des so profilierten wie internationalen Ensembles ein nicht eben realistisches Szenario. Sieben Leute sind es, denen Dirigent Allen hier grössere Solistenparts zugesteht: die Engländerinnen Gemma Jones und Lucy Punch, der Waliser Anthony Hopkins, der Amerikaner Josh Brolin, die Australierin Naomi Watts, der Spanier Antonio Banderas, die Inderin Freida Pinto. Routinière Jones ist Helena, eine dauerbeschwipste Hausfrau, die bei einer Wahrsagerin Zuflucht sucht, nachdem sie von ihrem Mann Alfie (Hopkins) abserviert worden ist. Der alterskriselnde Alfie hat seinerseits die Flucht nach vorne ergriffen: auf den Sitz eines Sportwagens und in die Arme des unterbelichteten Callgirls Charmaine (Punch). Kaum besser steht es um die Ehe von Helenas und Alfies Tochter Sally (Watts). Der literarisch tätige Gatte Roy (Brolin) kämpft verzweifelt gegen die Gefahr an, als Eintagsfliege abgeschrieben zu werden, und ergibt sich willenlos der Versuchung, die von der himmlisch hübschen Nachbarin Dia (Pinto) ausgeht. Sally selbst verzagt zunehmend ob der zunehmenden Verzagtheit Roys und checkt immer forscher ihren Boss Greg (Banderas) aus. Und schliesslich denken alle nur noch an sich, und endlich werden sie vom gerechten Regiegott Allen ins Fegefeuer der Eitelkeiten spediert. Eine Revolution auf dem Planeten Woody ist das wohl mitnichten; doch es ist eine Art Auferstehung aus den Niederungen des allzu Geschwätzig-Seichten, in denen der 75-Jährige zuletzt gerne hauste. Denn Leichtigkeit verwechselt er diesmal nicht wieder mit Beliebigkeit, Geschmeidigkeit nicht erneut mit Behäbigkeit. Stattdessen beweist er trotz des gelegentlichen onkelhaften Scherzes, dass er nach wie vor ein wacher Analytiker menschlicher Schwächen ist.

Und eine Entdeckung

Übermässig ernst ist es Allen hier dann aber doch nicht. Nicht umsonst stellt er seinem Film ein Zitat aus «Macbeth» voran, wonach das Leben ein Märchen voll Wortschwall sei, das nichts bedeute. Entsprechend ist das auch mehr unverbindlicher Gesellschaftsschwank denn erkenntnisreiches Sittengemälde. Allen streift zwar gewohnheitsgemäss Existenzielles; er masst sich indes nicht an, etwas Allgemeingültiges über Leben und Tod zu verzapfen. Und wenn auch der Biss alter Tage nicht wieder zurück ist, so feiert doch der Witz sein Comeback. Die Vermengung von Allens jüdischem New Yorker und dem schwarzen englischen Humor gelingt jedenfalls weit besser als bei seinen anderen Londoner Arbeiten. Zugute kommt das gerade den Darstellern, die ihre Figuren allesamt zum Blühen bringen – sogar der zuletzt nur mehr zwischen lustlos und nonchalant agierende Hopkins scheint wieder mal Spass am Job zu haben. Die Show wird ihm und den anderen Promis freilich von der wenig bekannten Lucy Punch als Trash-Blondine in Goldgräberstimmung gestohlen. Selbstredend bleibt auch diese so flach wie die übrigen Figuren. Doch hat man am (offenen) Ende alle dermassen lieb gewonnen, dass man inständig hofft, der laut Wahrsagerin zu treffende grosse dunkle Fremde möge nicht doch nur Gevatter Tod sein.