Es war einmal in New York City

Im gedämpften und doch immer wieder überwältigenden Kriminaldrama «A Most Violent Year» führt uns Jungregisseur J.C. Chandor in eine schattige Vergangenheit voller Filz und Verstrickungen.

 

von Sandro Danilo Spadini

1826 Morde und 120‘000 Überfälle zählte man 1981 in New York City. Ein Rekord für damals. Und keine Übertreibung somit, wenn der 41 Jahre junge Regisseur und Drehbuchautor J.C. Chandor nun in seinem Drittling von einem «Most Violent Year» spricht. Gewalttätig ist hier entsprechend schon die Ouvertüre, wo ein junger Immigrant auf der Autobahn aus seinem Tanklastwagen gezerrt und verprügelt wird. Das Ziel dieses Anschlags ist freilich nicht er, sondern sein Boss. Auch er ist nicht in diesem Land der 1981 vielleicht noch unbegrenzten Möglichkeiten geboren; und Abel Morales (Oscar Isaac) ist entschlossen, eine dieser wahrscheinlich doch bereits begrenzten Möglichkeiten zu nutzen. Im Heizölhandel, dank dem er es schon zu einem gewissen Reichtum gebracht hat, ist das Streben nach oben indes noch schwerer als anderswo. Die Korruption ist hier zementiert. Und die Konkurrenz nicht eben zimperlich: Sie überfällt nicht nur regelmässig seine Fahrer und raubt ihm im Laufe weniger Monate 420‘000 Liter seiner Ware; sie schickt dann auch mal Männer mit Waffen bei ihm zu Hause vorbei. «Du bist im Krieg», wird ihm nicht von ungefähr beschieden. Doch er sieht das nicht so. Er will ehrlich bleiben. Oder eher: ehrlich werden. Denn der Staatsanwalt (David Oyelowo aus «Selma») ermittelt bereits gegen ihn. 14 Anklagepunkte sind es. Und deshalb kooperiert er mit ihm. Obwohl ein Geschäftspartner meint, es seien gefährliche Zeiten, man müsse aufpassen. Doch er will, dass diese verdammte Korruption jetzt endlich aufhört. Er glaubt, es gehe auch anders.

Stimmige Anspannung

Das Milieu, in das Chandor in «A Most Violent Year» eintaucht, ist mithin nicht das prickelnde der Paten und Politiker. Und es ist nicht die Kulisse für ein mafiöses Feuerwerk: Entgegen den im Titel geweckten Erwartungen wird hier kaum einmal geschossen, und wenn, dann auf einen angefahrenen Hirsch, um ihn zu erlösen; es werden auch keine gepfefferten Sprüche vom Stapel gelassen, wiewohl die Nebenrollen fast komplett mit vierschrötigen Kerlen von zweifelhaftem Ruf besetzt sind. Dafür ist Chandor die Sache zu ernst. Wie in seinem Wall-Street-Thriller «Margin Call» geht es ihm auch hier um die Strukturen, um die Machenschaften und die Verstrickungen, um den Filz. Das ist bisweilen durchaus technisch: etwa in den vielen Gesprächen mit Anwälten und Ermittlern, Lieferanten und Bankiers, wo bis in die Filmmitte hinein noch vieles im Vagen bleibt; und immer dann, wenn Chandor gänzlich auf Musik und andere gängige Schmiermittel verzichtet. Spröde ist es hingegen nie. Denn an die Stelle klassischer Spannung tritt hier eine konstante Anspannung. Eine Stimmung, die wie die New-York-Filme von James Gray («The Yards», «We Own the Night») eine Ahnung von der schattigen Vergangenheit dieser Stadt gibt. Als das Muffige und Modrige noch dominierte, das Abgewetzte und Abgeblätterte, das Schmuddlige und Schmutzige, das Abgehalfterte und Abgefuckte.

Zwei Stars der Zukunft

Die Sonne lässt Chandor denn auch nie in seinen erdig-gedämpften Film. Und schon gar nicht in die Herzen seiner Helden. Dabei ist dieser Abel wohl wirklich ein anständiger Kerl. Einer, der das Richtige tun will, der aber von allen Seiten unter Beschuss steht von Leuten, die ihn auf die falsche Seite zerren wollen. Und dann geht ihm auch noch die Gattin (Jessica Chastain) an die Gurgel, «diese kleine Gangstertochter aus Brooklyn». Für sie gibt es mit der Zeit indes immer weniger Interessantes zu tun, was angesichts des Talents ihrer Darstellerin natürlich schade ist. Dafür darf Newcomer Oscar Isaac («Inside Llewyn Davis», «The Two Faces of January») wie ein alter Hase glänzen: Er trägt diesen Film beinahe so, wie Robert Redford im Vorjahr Chandors Zweitling «All Is Lost» getragen hat – und das war ein Einpersonenstück! Ihm ist für die Zukunft Grosses zuzutrauen. Genauso seinem Regisseur. Wie dieser die Ruhe weghat, reizt und ritzt, bremst und beschleunigt, hinschaut, wegschaut, hochschaltet, zurückschaltet und schliesslich die angekündigten Mini-Eskalationen endlich zündet – das zeugt von jenem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und sein Material, das wahre Könner auszeichnet. Und wie er uns immer wieder mit grandiosen Aufnahmen überwältigt – das ist es, was Kino magisch macht.